Montag, 11. Juni 2012

Deutschland: Operationen aus ökonomischem Kalkül ohne Nutzen für Patienten

Aufwendige Eingriffe bringen mehr Geld, Großgeräte verlangen nach Auslastung


Nicht medizinische Notwendigkeit, sondern ökonomisches Kalkül als Indikation für Operationen? Der 66-seitige Endbericht eines Gutachtens, das im Auftrag des Spitzenverbands des Gesetzlichen Krankenkassenverbands (GKV) vom Rheinisch-Westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) erstellt und nun vorgestellt wurde, liefert für diesen Vorwurf reichen Diskussionsstoff. Die Quintessenz der Studie Mengenentwicklung und Mengensteuerung stationärer Leistungen (Mai 2012): Die Anzahl an medizinischen Behandlungen in Kliniken hat sich in den Jahren von 2006 bis 2010 um 13 Prozent erhöht, wobei die aufwendigen Eingriffe mit einem stärkeren Gewicht in die Rechnung eingingen. Nur 40 Prozent des Zuwachses könnten durch die gesellschaftliche Alterung erklärt werden, sagt Studienautor und Gesundheitsökonom Boris Augurzky. Die übrigen 60 Prozent seien durch andere Faktoren verursacht – etwa dem Streben nach Auslastung von Großgeräten oder Profitbestrebungen der Kliniken.

„Man muss immer mehr aufpassen, dass man nicht unters Messer kommt“, sagte dazu etwas salopp der Leiter der GKV-Krankenhausabteilung, Wulf-Dietrich Leber, berichtet die Frankfurter Allgemeine Zeitung (online, 30.5.2012). Nicht selten gehe die Arbeit der Ärzte in den Kliniken über das medizinisch Vernünftige hinaus, es fänden Behandlungen ohne Nutzen für den Patienten statt, dem dadurch sogar „gesundheitliche Gefahren“ drohten. Als Beispiele nannte er Wirbelsäulenoperationen und den Einsatz von Gelenkprothesen, die auffällig stark zugenommen hätten (vgl. Oktober 2011: Gesundheitswesen: Ökonomische Zwänge contra Patientenwohl?). Auch unter Ärzten werden leistungsabhängige Vergütungssysteme zunehmend kritisch diskutiert.

Hintergrund dieser Entwicklung ist nach Einschätzung von RWI und Kassenverband, dass die einzelnen Behandlungen den Kliniken höher vergütet werden. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) wies die Vorwürfe dagegen als „diffamierend“ zurück. Laut einem Bericht des Tagblattes (online, 31.5.2012) kämen die jetzigen Warnungen der Kassen jedoch nicht zufällig: Hinter den Kulissen würden die Gesundheitspolitiker von Union und FDP gerade eine Neuausrichtung der Klinikfinanzen – inklusive Operationsbremse – verhandeln.

Quelle: Imabe-Newsletter Juni 2012

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