Emil gilt nicht mehr als Schadensfall
Vor zweieinhalb Jahren klagte ein Ungeborener die Republik. Jetzt wird das Gesetz geändert.
Wien, Bregenz – Für die Vorarlberger Familie Karg – Sabine, Andreas und ihr Sohn Emil – ist das heurige Weihnachtsfest ein besonderes. Denn vor wenigen Tagen haben sie die Bestätigung für ihre vor zweieinhalb Jahren begonnene Initiative bekommen: Ab 1. Juni 2011 tritt ein neues Gesetz in Kraft, das klarstellen soll, dass die Geburt und Existenz eines Kindes mit Behinderung keinen Schaden darstellt.
Emil hatte 2008 als Ungeborener mit offenem Rücken die Republik wegen Verletzung seiner Würde verklagt. Anwalt Paul Sutterlüty, der als Kurator eingesetzt wurde, freut sich nun über den „politischen Durchbruch“. Die Klage Emils wurde zwar von den Gerichten abgewiesen, Ziel der Initiative sei es aber ohnehin nie gewesen, dort einen Erfolg zu erringen – dass es gelungen sei, zu mobilisieren, einen Anstoß zu einer Gesetzesänderung zu geben, darf wohl als wahrer Sieg gesehen werden.
Zur Vorgeschichte: Die Eltern von Emil bekamen im März 2008 nach einem Urteil des Obersten Gerichtshofs (OGH) wegen eines Fehlers in der Pränataldiagnose Schadenersatz für ihr behindert geborenes Kind zugesprochen. Außerdem hätte Emil auch bis zur Geburt straffrei abgetrieben werden können. Sabine und Andreas Karg sahen in der Tatsache, dass ihr Kind rechtlich als Schaden gewertet werden könnte, eine Diskriminierung und klagten.
Auch in der Ärzteschaft ist die Freude über das neue Gesetz groß. Laut Peter Schwärzler, Leiter der Gynäkologie am Landeskrankenhaus Feldkirch, schütze die neue Regelung die Kinder besser vor einer Abtreibung auf Verdacht. Dass Ärzte bisher aus Haftungsgründen verpflichtet waren, den kleinsten Zweifel den Eltern mitzuteilen, habe häufig grundlos die Freude über die Schwangerschaft überschattet und zu vielen Untersuchungen ohne medizinische Indikation geführt. Im kommenden Jahr soll ein in Vorarlberg entwickelter Leitfaden für Ärzte für die Pränataldiagnose in ganz Österreich umgesetzt werden.
Auch die Tirolerin Marianne Hengl, die seit Jahren für die Rechte behinderter Menschen kämpft, freut sich über die Gesetzesänderung: „Ich habe Justizministerin Claudia Bandion-Ortner einen Brief geschrieben und ihr vorgeschlagen, im Sommer ein großes Fest zu machen, nach dem Motto „Wir feiern das Leben“, so Hengl zur TT. Für sie als Betroffene sei die Gesetzesänderung „das schönste Weihnachtsgeschenk, das ich mir überhaupt vorstellen kann“. Denn sie habe das Gefühl, behinderte Menschen würden der Gesellschaft zunehmend wichtiger – und nicht als „Schadensfall oder Belastung“ wahrgenommen, sagt Hengl. „Eine Behinderung kann schwer sein, das ist die Realität. Aber man kann auch ein erfüllendes Leben haben“, erklärt die umtriebige Tirolerin.
Sie verwies ebenfalls auf die Ärzte, auf denen aufgrund der noch geltenden Gesetzeslage ein großer Druck gelastet habe. „Sie waren quasi dazu gezwungen, auch bei vagen Befunden zur Abtreibung zu raten – aus Angst vor Klagen.“ Unsere Gesellschaft müsse Platz für jeden Menschen haben, appelliert Marianne Hengl. (TT-car, APA)
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