Euthanasie: Der Tod als professionelle Dienstleistung – auch für Minderjährige?
Menschen mit Todeswunsch brauchen Hilfe zum Leben und nicht zur Beendigung des Lebens
Ein taubes Zwillingspaar hat in Belgien laut einem
Pressebericht gemeinsam ärztliche Sterbehilfe in Anspruch genommen,
nachdem die Geschwister allmählich zu erblinden begannen. Die beiden 45
Jahre alten Männer aus dem Raum Antwerpen hätten neben ihrer Taubheit
seit einigen Jahren auch an Sehproblemen gelitten. Am 14. Dezember 2012
verabreichten ihnen Ärzte des Brüsseler Universitätsklinikums die
tödlichen Injektionen. Die Brüder hatten nicht an einer tödlichen
Krankheit gelitten.
„Der Fall der Zwillinge ist skandalös“ schreibt die FAZ (online, 16. 1. 2013).
Nicht deshalb, „weil zwei Menschen aus Verzweiflung und Angst in den
Tod flüchteten, sondern weil sie jemanden fanden, der ihnen beim Sterben
half“. Diese Entscheidung setze voraus, „dass das Leben der Zwillinge,
deren Schicksal die Taubblindheit und keine tödliche Krankheit war,
als nicht mehr lebenswert eingestuft wurde. Die Schleusen, Sterbehilfe
und Behinderung von nun an in einem Atemzug zu nennen, sind damit
geöffnet. Für die Betroffenen ist das fatal“.
Während der Fall in vielen Ländern Empörung
ausgelöst hat, geht der belgische Senat nun einen Schritt weiter. In
Zukunft soll, so der Vorschlag der regierenden Sozialisten, aktive
Sterbehilfe auf Minderjährige und demente Menschen ausgeweitet werden
(vgl. IMABE-Newsletter, Jänner 2013).
Aktive Sterbehilfe ist in Belgien seit zehn Jahren unter bestimmten
Umständen gestattet, bei Minderjährigen noch verboten. Laut geltendem
Gesetz muss der unheilbar kranke Patient im Vollbesitz seiner geistigen
Kräfte den Wunsch zu sterben „freiwillig, überlegt und wiederholt“
geäußert haben. Hoffnung auf Linderung darf nicht bestehen. Zudem muss
die Krankheit ein Weiterleben für den Kranken „körperlich oder
psychisch unerträglich“ machen.
In einem Artikel in der Medizinzeitschrift Artenskrant (englische Version, online, 4. 2. 2013)
berichtet ein betroffener Sohn, der belgische Wissenschafter Tom
Mortier, vom Tod seiner Mutter durch Euthanasie. Sie hatte an einer
chronischen Depression gelitten. Seine Mutter hatte zwei Jahre zuvor
den Kontakt mit ihm abgebrochen. Die Ärzte des Brüsseler
Universitätsklinikums, die die tödlichen Injektionen verabreichten,
hatten ihn weder davor noch danach kontaktiert.
Der dreifache Familienvater Mortier hat viele
Fragen: „Was sind die Kriterien, um zu entscheiden, was ‚unerträgliche
Leiden’ sind? Können wir uns auf eine solche Entscheidung einer
psychisch kranken Person verlassen? Kann eine psychisch kranke Person
eine ‚freie Wahl’ haben? Warum haben die Ärzte nicht versucht, ein
Treffen zwischen der Mutter und ihren Kindern zu vereinbaren? Warum
können wir es nicht mehr ertragen zu sehen, dass andere Menschen
leiden?“ In Wahrheit sei der Appell an die „freie Wahl“ Folge der
Bequemlichkeit, sich nicht um den anderen kümmern zu wollen, sagt
Mortier.
Der vorzeitige Tod als Dienstleistung für alle,
ausgeführt von staatlich geprüften Fachleuten – ist das die Zukunft des
Sterbens?, fragt der Journalist Alexander Kissler in einem kritischen
Kommentar im deutschen Magazin Cicero (online, 22. 1. 2013)
zur geplanten Neuregelung für Sterbehilfe-Vereine in Deutschland, die
ärztlich assistierten Suizid anbieten. Die entsprechende
Gesetzesvorlage, die Ende Jänner den Bundesrat hätte passieren sollen,
wurde dank des Widerstandes der CDU/CSU vorerst auf Eis gelegt (vgl. Die Welt, online, 17. 1. 2013).
Der Medizinethiker Axel W. Bauer weist darauf hin,
„dass weit über 90 Prozent aller Suizidenten letzten Endes unter einer
klinischen Depression leiden“. Sie befänden sich „in einer ausweglosen
Lage, in der sie Hilfe bräuchten und nicht (…) den kostenlosen
Todesstoß“, so Bauer in einem Interview im Deutschlandradio (online, 16. 1. 2013).
Quelle: IMABE-Newsletter Februar 2013
Foto: © Jens Goetzke / PIXELIO
Labels: Belgien, Euthanasie, Minderjährige
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