Euthanasie: Kritiker warnen vor Pseudo-Autonomie und Ökonomisierungsdruck
Altersdepression ist behandelbar, Gesetze haben Schutzfunktion, Töten heißt versagen
Depression im Alter wird oft übersehen, vor allem in
Altersheimen. Experten gehen davon aus, dass 14 Prozent aller
älteren Menschen, die in Pflegeeinrichtungen wohnen, depressiv sind –
deutlich mehr als Gleichaltrige, die in ihren eigenen vier Wänden
wohnen. Psychotherapeutische Hilfe findet für die Betroffenen – in
Deutschland geht man von 100.000 Menschen aus – aber nicht statt,
berichtet der Tagesspiegel (online, 21. 1. 2014).
„Während Psychologen in Kinder- und Jugendheimen
fester Bestandteil des Personals sind und es regelmäßige ärztliche
Visiten gibt, fehlen sie in Pflege- und Senioreneinrichtungen“, sagt
Eva-Marie Kessler von der Abteilung für Psychologische Alternsforschung der Universität Heidelberg. Im Rahmen des Forschungsprojekts Psychotherapie der Depression im Seniorenheim
(PSIS) werden nun in Berliner Einrichtungen erstmals auch betagte
Menschen mit Depressionen (im Alter von 69 bis 95 Jahren) auf Kosten der
Krankenkasse behandelt. Erste positive Ergebnisse wie Motivation,
Lebensmut und erhöhte Eigenaktivität seien bereits bemerkbar, die
Ergebnisse der Studie sollen Grundlage interdisziplinärer Strategien
für ein Angebot zur Behandlung depressiver Störungen im Alter bieten.
Wenn offenbar jeder siebte Altersheimbewohner an
Depression leidet, sein Leben als sinnlos und sich selbst zunehmend
als Last empfindet: Wie lässt sich da noch von Autonomie beim Wunsch
nach Beihilfe zum Suizid sprechen?
Alte Menschen seien besonders „vulnerabel“, betont auch Thomas Klie, Jurist und Altersforscher in der Frankfurter Rundschau (online, 29. 1. 2014).
Wenn sich Prominente oder junge Menschen selbst öffentlich als
„Pflegefall“ oder „Idiot“ die Würde absprechen, habe das einen eitlen
Beigeschmack, würde aber darüber hinaus eine ganze Bevölkerungsgruppe
entwerten. „Unsere Kultur lebt davon, dass wir auch an den Grenzen des
Lebens zueinanderstehen“, betont Klie. Gesetze hätten auch
Schutzfunktion. Fallen diese Schranken weg, sinke auch die moralische
Schwelle für Tötungshandlungen. Ein empirischer Beleg dafür seien die
Niederlande: Die Zahl der gemeldeten Euthanasiefälle stagniere dort,
zugleich würden die nicht legalisierten Patiententötungen zunehmen,
wobei Ärzte die Tötung mit einem zu hohen Leidensdruck für die
Angehörigen rechtfertigen. Auch gesundheitsökonomische Interessen würden
hier neben Mitleid eine immer größere Rolle spielen. Aus diesem
Grund lehnt der Sozialexperte einen gesetzlich geregelten
assistierten Suizid oder aktive Sterbehilfe entschieden ab. „Sie würde
ein sozialverträgliches Frühableben provozieren“ und Menschen in
diese Opferrolle drängen.
In Österreich, wo die ärztliche Beihilfe zum
Suizid unter Strafe steht, bleibt die öffentliche Debatte in Gang.
Erst kürzlich hatte sich der Politologe Thomas Schmidinger (Universität Wien)
als „bekennender Atheist“ klar gegen Beihilfe zum Selbstmord
ausgesprochen, ebenso der Historiker und langjährige Leiter des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes, Wolfgang Neugebauer (vgl. Standard, online, 30. 1. 2014).
Quelle: Imabe-Newsletter Februar 2014
Fotos: Screenshot Tagesspiegel
Labels: Autonomie, Depression, Euthanasie, Ökonomie
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