Montag, 21. Februar 2011

Kindesunterhalt als Schadensfall?

"Kinder als Schaden"? - Natürlich nicht, sagen Verteidiger des Status quo in der Debatte um die Reform der Haftpflicht für Pränatalmediziner

Es gehe nur um die Unterhaltskosten. Aber kann man das eine vom anderen wirklich trennen?

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In der seit dem aktuellen Gesetzesvorstoß der Justizministerin Claudia Bandion-Ortner wieder intensiv geführten öffentlichen Diskussion um das Thema "Kind als Schaden" sind bereits viele Argumente ausgetauscht worden (die hier nicht wiederholt werden sollen). Interessanterweise scheint dabei der Grundfrage, ob ein Kindesunterhalt überhaupt als Schaden im rechtlichen Sinne begriffen werden kann, wenig Aufmerksamkeit zuzukommen.

Wer diese Frage bejaht, hat den weitgefassten Wortlaut des § 1293 Satz 1 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB) aus dem Jahre 1811 für sich: "Schaden heißt jeder Nachteil, welcher jemandem an Vermögen, Rechten oder seiner Person zugefüget worden ist." Es ist allgemein anerkannt, dass darunter auch durch rechtswidrige Schädigungshandlungen verursachte Vermögensbelastungen zu verstehen sind, z. B. von den Eltern getragene Heilungs- und Betreuungskosten für ihr verletztes Kind - warum also in bestimmten Fällen nicht die gesamten elterlichen Unterhaltskosten?

Wer diese Frage verneint, muss etwas weiter ausholen. Der Verfassungsgerichtshof hat in einer Entscheidung aus dem Jahre 1993 auf Basis der Menschenwürde festgestellt, dass "kein Mensch jemals als bloßes Mittel für welche Zwecke immer betrachtet und behandelt werden darf". Dies bedeutet, dass unsere Rechtsordnung den positiven Eigenwert (der Existenz) jedes Menschen anerkennt.

Dieser grundlegenden Weichenstellung unserer Rechtsordnung widerspräche es, aus untergeordneten Einzelregelungen - etwa dem Schadenersatzrecht - eine negative Bewertung der Existenz eines bestimmten Menschen abzuleiten. Manche versuchen daher für rechtliche Belange, die Existenz des Kindes von seinen Unterhaltsansprüchen zu "trennen", um bei der Bejahung des Schadenersatzes für den Kindesunterhalt nicht bei einer Negativbewertung der kindlichen Existenz selbst zu enden.

Ein Senat des Obersten Gerichtshofs verweist zur Untermauerung seiner "Trennungsthese" etwa darauf, dass nicht nur die Geburt eines Menschen, sondern auch sein Tod Schadenersatzansprüche nach sich ziehen könne (z. B. wenn der Mörder für die unterhaltsberechtigten Hinterbliebenen seines Opfers den Unterhalt zahlen muss). Beim Tod werde dies nicht als problematisch angesehen, daher müsse man auch aus der Geburt resultierende Schadenersatzansprüche akzeptieren.

Diese Argumentation beweist freilich exakt das Gegenteil von dem, was der Gerichtshof zu belegen versucht. Die Bestimmungen, welche die rechtswidrige Tötung oder Verletzung eines Menschen mit haftungsrechtlichen Konsequenzen belegen, implizieren nämlich - im Einklang mit der Menschenwürde - eine für die Existenz und Integrität eines Menschen positive Bewertung. Das rechtmäßige, die Schadenersatzpflicht abwendende Alternativverhalten besteht in der Achtung der Integrität des anderen. Der Gewalttäter muss sich demgemäß sagen: Hätte ich bloß das Leben bzw. die Integrität des anderen respektiert, die Haftpflicht wäre mir erspart geblieben.

Das Gegenteil trifft in den "Kind als Schaden"-Fällen zu. Hier muss sich z.B. der schadenersatzpflich-tige Pränataldiagnostiker sagen: Hätte ich bloß den (damals noch ungeborenen) Behinderten rechtzeitig zur Abtreibung selektiert, so existierte der Behinderte nun nicht, und ich wäre nicht mit Schadenersatzforderungen für seinen Unterhalt konfrontiert. Das bei einer solchen Betrachtung "rechtmäßige", die Haftpflicht abwendende Alternativverhalten besteht in einer maßgeblichen Mitwirkung an der "Vermeidung" der kindlichen Existenz. Die schadenersatzrechtliche Negativbewertung der kindlichen Existenz - im Widerspruch zur Menschenwürde - ist dabei eine denknotwendige Implikation.

Auch der renommierte Zivilrechtslehrer Helmut Koziol versuchte schon vor längerer Zeit, in seinem Standardwerk über das Österreichische Haftpflichtrecht die "Trennungstheorie" zu begründen: Kaufe ein Vertreter gegen den Willen des Vertretenen ein Luxusfahrzeug, liege der Schaden des Vertretenen in der Verpflichtung, den Kaufpreis für das unerwünschte Auto zu zahlen. Eine Negativbewertung des Fahrzeugs "an sich" sei damit nicht verbunden. Diese Überlegung könne man auch auf das Verhältnis Eltern/Kind übertragen.

Nun mag es schon sein, dass der Vertretene keine "grundsätzliche" Abneigung gegen Luxusautos hegt oder eigentlich sogar ein Liebhaber solcher Fahrzeuge ist; das konkrete, vom Vertreter unzulässigerweise beschaffte lehnt er aber wegen der damit verbundenen finanziellen Belastungen eben doch ab. Auf familiäre Beziehungen umgemünzt: Was nützt es dem (behinderten) Kind, wenn seine Eltern im allgemeinen "Menschenfreunde" sind, die Unterhaltspflicht für ihr ganz konkret vor ihnen stehendes Kind aber als Schaden betrachten und damit ablehnen? Die Unterhaltspflicht hätte nur bei "Vermeidung" seiner Existenz abgewendet werden können. Die rechtliche Negativbewertung der Unterhaltspflicht schlägt also wiederum auf die Kindesexistenz selbst durch und widerspricht daher der Menschenwürde.

Fazit: Selbst die namhaftesten Vertreter der These, man könne Existenz und Unterhalt eines Kindes zumindest für juristische Zwecke "fein säuberlich" trennen, zeigen in ihren konkreten Argumenten wohl selbst für den juristischen Laien klar erkennbare Schwächen. Dies liegt in der Natur ihres vergeblichen Versuchs, gegen Evidenzen zu argumentieren. Contra factum non valet argumentum.

Dass der aktuelle Entwurf des Justizministeriums - im Gefolge der ersten einschlägigen Gesetzesinitiative der FPÖ aus 2006 - dieser Erkenntnis entspricht, ist mehr als erfreulich.

Quelle: Der Standard vom 9. Februar 2011

Thomas Piskernigg, Jurist in Wien, ist Prüfbeamter der Österreichischen Volksanwaltschaft und freier Mitarbeiter des Instituts für medizinische Anthropologie und Bioethik (IMABE). Der Kommentar gibt die persönliche Meinung des Autors wieder.

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