Montag, 21. Februar 2011

Lebensglück vom Doktor: Medizin im Grenzbereich

Heilen ist nicht mehr genug. Ärzte sollen für Lebensglück sorgen - und wenn das Wunschbaby von einer indischen Leihmutter ausgetragen wird, verdient sogar noch eine arme Frau daran. Was zu viel ist, ist zu viel.

Was ist Aufgabe des Arztes? Angesichts der aktuellen Debatte stellt sich diese Frage mit neuer Schärfe. Einer langen Tradition entsprechend soll der Arzt vor allem dies: Kranke heilen, Schmerzen lindern und trösten - nach bestem Wissen und Gewissen. Ein Glück, dass sich tausende Kollegen noch diesem ärztlichen Ethos verpflichtet wissen. In einer Gesellschaft, in der Gesundheit, Leistung und Selbstbestimmung als höchste Güter gelten, denen alles zu opfern man verpflichtet ist, bläst der Wind dem ärztlichen Ethos allerdings inzwischen ziemlich kalt entgegen - aus verschiedensten Richtungen.

Ärzte sind verführbarer geworden, sie sind nicht mehr nur für Krankheiten zuständig, sondern für das gesamte Lebensglück der Patienten. Deren Wünsche sind gemäß der Logik einer nach Angebot und Nachfrage organisierten Heilsindustrie zu erfüllen. Ärzte mutieren dadurch zu Lebensstil-Beratern und Dienstleistern - und profitieren ökonomisch von ihren "Kunden". Verkauft wird dies unter dem Motto: Hilf den Armen! Solange "Reiche" dafür bezahlen, kennt der neue Robin Hood-Mediziner kaum Grenzen.

Aktuelle Beispiele? Da baut ein Däne die weltweit größte "Samenbank" auf, wo Spermien nach Maß aus einem Computerkatalog weltweit verschickt werden und kinderlose Paare oder Singles ihr Wunschbaby designen können - natürlich nur unter Mithilfe von Ärzten und alles ganz legal.

Günstige indische Leihmütter sind für Kunden aus Europa oder den USA attraktiv: In Indien kostet ein von einer Leihmutter ausgetragenes (gesundes!) Kind zwischen 2500 und 6500 Dollar - ein Kind um einen Schnäppchenpreis sozusagen. Die modernen Robin Hood-Mediziner helfen dadurch armen Frauen - die viele Jahre arbeiten müssten, um diesen Geldbetrag zu verdienen. Was aber, wenn das bestellte Produkt "fehlerhaft" ist? Den indischen Leihmüttern wird ein solches Kind von den Kunden nicht abgenommen, in Großbritannien entscheiden die Eltern, die die Leihmutterschaft bezahlt haben, was mit dem behinderten Kind zu geschehen hat, Ärzte erledigen dann den Rest. Wie selbstbestimmt diese Entscheidung ist, bleibt fraglich in einer Gesellschaft, in der Gesundheit wie alles als machbar gilt, als herstellbares Produkt, in der es kein "Schicksal", sondern nur noch ein "Machsal" gibt (O. Marquard).

Zur Spitze getrieben wird die Robin-Hood-Medizin dort, wie etwa im jüngsten Bericht über den Organhandel im Kosovo, wo von "freiwilligen" Armen Organe entnommen und dem sehr gut zahlenden, meist aus dem Ausland anreisenden schwer Kranken transplantiert werden - natürlich von Ärzten, die oft aus Ländern kommen, in denen es kein Transplantationsgesetz gibt, aber auch kein Gesetz, das den Organhandel verbietet. - Also ist es dann rechtens, dies zu tun, weil man doch beiden hilft: den Armen - und vor allem dem Kranken?

War es vor langer Zeit in einer Diktatur ethisch in Ordnung, als Behinderte von Ärzten beseitigt wurden? Nur weil es legal war und man damit einer armen Gesellschaft, die sich keine Behinderten leisten wollte, "diente", nicht aber dem Behinderten selbst? Interessant, wie uns in den Hauptnachrichten schneebedeckte 220 Gräber von Euthanasie-Opfern im Tiroler Hall, untermalt von eugenischen NS-Propaganda-Filmen in Schwarz-Weiß, gezeigt werden und anschließend in einem Beitrag über die aktuelle Diskussion über die Kind-als-Schaden-Judikatur ein schwerstbehindertes Kind und dessen leidende Mutter vorgeführt wird. Die Macht der Bilder - sie wirkt immer noch.

Was ist also tatsächlich die Aufgabe des Arztes? Treffend formuliert hat dies einst der berühmte deutsche Arzt Christoph Wilhelm Hufeland, Leibarzt der Königin Luise von Preußen, ein Mann, der ganz dem Geist der Aufklärung verpflichtet war. Im Jahr 1806 hielt er im Journal der praktischen Arzneikunde und Wundarzneikunst fest: "Der Arzt soll und darf nichts anderes tun, als Leben erhalten - ob es ein Glück oder ein Unglück sei, ob es Wert habe oder nicht, das geht ihn nichts an. Und maßt er sich einmal an, diese Rücksicht in sein Geschäft aufzunehmen, so sind die Folgen unabsehbar und der Arzt wird der gefährlichste Mensch im Staate."

Der Hippokratische Eid fasst das ärztliche Berufsethos zusammen: der unantastbare Wert und die Würde jedes Menschen, der absolute Respekt vor dem Leben und der Person, der Schutz des Patienten vor dem Arzt, aber auch des Arztes vor unangemessenen Forderungen seines Patienten.

Es braucht Veränderung, ja - aber wie? Ob die Medizin ihre Identität als professioneller, wissenschaftlich fundierter humanitärer Dienst behalten wird, hängt letztlich davon ab, ob es gelingt, mit Überzeugung diesem lang tradierten ärztlichen Ethos zu folgen - die Bereitschaft dazu muss aber von den Ärzten mit Gewissensbildung selbst ausgehen. Sie müssen selbst Flagge zeigen und ihr Berufsverständnis auch gegen den Mainstream lenken lernen.

Quelle: Der Standard vom 5. Februar 2011

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