Montag, 16. April 2012

Euthanasie: Wie autonom sind Suizidwillige, Neugeborene und Demente?

Freiburger Medizinethiker Maio fordert Trendumkehr zu einer „Kultur des Beistands und der Sorge“

Vor 10 Jahren hatten die Niederlande als erstes Land weltweit die aktive Sterbehilfe legalisiert. Seit 1 März 2012 bieten in Holland auch „ambulante Todesteams“ ihre Dienste an, ebenso wurde die erste „Euthanasie-Klinik“ des Landes eröffnet – scharf kritisiert von Ärzten der Königlichen Niederländischen Ärztevereinigung (KNMG), die die Arzt-Patienten-Beziehung fundamental gefährdet sehen (vgl. IMABE-Newsletter Februar 2012). Der Antrag der Lobby-Gruppe Right to Die in den Niederlanden, die ein „Recht auf Selbsttötung“ für alle Menschen ab 70 Jahre einforderte – egal, ob diese gesund oder krank sind – wurde nun aber im Oberhaus des niederländischen Parlaments mit breiter Mehrheit abgelehnt (vgl. Europa-Online 9.3.2012).


In Belgien gilt Euthanasie ebenfalls seit 2002 als unter bestimmten Bedingungen straffrei, inzwischen wird sie auch bei Neugeborenen und Depressiven angewandt. Die Zahl der Euthanasiefälle bei dementen oder komatösen Patienten – auch ohne deren Einwilligung – nehmen laut Studien zu (vgl. IMABE-Newsletter Juni 2010: Belgien: Euthanasie häufig ohne Zustimmung des Patienten).

In der Schweiz, wo der assistierte Suizid erlaubt ist, setzen immer mehr Sterbewillige auf Suizidhilfe. Das Schweizer Bundesamt für Statistik legte nun erstmals einen Bericht über den assistierten Suizid aus den Jahren 1998 bis 2009 vor. Demnach stieg die Zahl der Personen, die begleiteten Selbstmord in Anspruch nahmen, von weniger als 50 im Jahr 1998 auf knapp 300 im Jahr 2009 an. Dabei kamen auf 1000 Todesfälle 4,8 begleitete Suizide, berichtet die NZZ (online 27.3.2012). Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hatte in einem Streit um Beihilfe zum Suizid klar entschieden, dass der Staat nicht zu Selbstmord-Beihilfe verpflichtet ist (vgl. IMABE-Newsletter Jänner 2011: Kein Recht auf Suizid, sagt Europäischer Menschengerichtshof).

Angesichts der „trügerischen Autonomie“ plädiert der Freiburger Medizinethiker Giovanni Maio in Die Welt (online, 27.3.2012) für eine Trendumkehr, in der eine „Kultur des Beistands“ und „der Sorge“ gestärkt werden solle. Wenn Prominente heute Beihilfe zum Selbstmord in Anspruch nehmen, würden Medien geradezu euphorisch von einem „würdevollen“ und selbstbestimmten Tod berichten. Hinter diesem „Pathos der Freiheit“, der die Entscheidung zum Suizid als Ausdruck der Autonomie abfeiert, stecke Angst, Verdrängung und Leugnung, dass es zum Wesen des Menschen gehöre, lebenslang auf die Hilfe Dritter angewiesen zu sein, so Maio, selbst Arzt. Die Erfahrung von Hospizbegleitern und Palliativmedizinern zeige, dass sehr Kranke „Zuversicht, Trost und neue Perspektiven“ durch andere brauchen – und nicht Unterstützung zum Selbstmord.

Dass terminale Sedierung keine Euthanasie darstellt, legt IMABE-Geschäftsführer Enrique Prat in einem Kommentar in der Österreichischen Ärztezeitung (online 25.3.2012) differenziert dar. Sedierung zur Schmerzlinderung am Lebensende kann ethisch gerechtfertigt sein, auch dann, wenn diese Maßnahmen den Sterbeprozess geringfügig verkürzen können. Zum Loslassen am Ende des Lebens gehöre aus medizinischer Sicht auch, dass man „auf sinnwidrige Maßnahmen verzichten darf und soll“, so Prat.

Quelle: IMABE-Newsletter 2012

Labels: , , , ,

0 Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Abonnieren Kommentare zum Post [Atom]

<< Startseite