Donnerstag, 5. September 2013

Österreich: Alkoholsucht wird häufig zu spät erkannt

Alkoholismus ist ein psychisches, soziales, aber auch wirtschaftliches Problem

Zehn Prozent der Österreicher werden im Laufe ihres Lebens alkoholkrank. Fünf Prozent von österreichischen Jugendlichen ab dem 16. Lebensjahr sind als alkoholkrank zu klassifizieren – das sind 350.000 Menschen.

Die Misere des hohen Alkoholkonsums und der häufig bestehenden Abhängigkeit ist nicht nur ein gesundheitliches, sondern auch ein volkswirtschaftliches Problem: Direkte medizinische Kosten, direkte nichtmedizinische Kosten (Sozialleistungen) und die Produktivitätsausfälle bedeuteten unter Einrechnung der Alkoholsteuer 2011 ein Minus von 737,9 Millionen Euro. Das ergab eine Studie des Instituts für Höhere Studien (IHS), berichtet der Standard (online, 25. 7. 2013). Österreich steht mit einem jährlichen reinen Alkoholkonsum von 12,9 Litern pro Kopf international (OECD) auf dem dritten Platz hinter Frankreich und Portugal. 

Michael Musalek, Psychiater und Leiter des Anton-Proksch-Instituts in Wien, fordert angesichts der erschreckenden Daten ein Umdenken der Gesellschaft: Es braucht ein Ende der Bagatellisierung der Alkoholsucht und mehr Möglichkeiten und Angebote zur Rehabilitation sowie zur Reintegration ins Berufsleben. 

Eine GfK-Umfrage unter niedergelassenen Ärzten, die am Rande der Alpbacher Gesundheitsgespräche präsentiert wurde (vgl. Standard, online, 19. 8. 2013), ergab, dass sich in 40 Prozent der Fälle der Hinweis auf eine Alkoholkrankheit erst durch eher zufällig erhobene Befunde im Rahmen anderer Untersuchungen ergab. 80 bis 90 Prozent der befragten Fachärzte, die mit Alkoholkranken beschäftigt sind, gaben an, sie würden die Patienten viel zu spät sehen. 

Laut der Umfrage werden 25 Prozent der diagnostizierten Alkoholiker weder medikamentös noch psychotherapeutisch behandelt. Nur 22 Prozent der Allgemeinmediziner sagen, sie würden sich mit der Alkoholkrankheit „sehr gut auskennen“, 76 Prozent sind „eher“ oder „sehr unzufrieden“ mit der Verfügbarkeit von Therapieangeboten. 

Als eine der Ursachen für steigende Suchterkrankungsraten sieht Psychiater Musalek die Erfolgsgesellschaft: „Heute wird gerne behauptet, dass wir in einer Leistungsgesellschaft leben. Aber nicht Leistung wird honoriert, sondern Erfolg.“ Dadurch würden viele Menschen in eine stetige Leistungsüberforderung hineingedrängt. Suchtmittel würden als „Ausweg“ eingesetzt: als Dopingmittel, zur Entspannung sowie zur Bewältigung von Ängsten oder Sorgen. „Wir müssen uns aber auch überlegen, ob wir in einer Gesellschaft leben wollen, die uns stark suchtgefährdet“, gab Musalek beim Europäischen Forum Alpbach zu bedenken. Sein Gegenkonzept: die Rückkehr zu einer „solidarischen Leistungsgesellschaft“ (vgl. Standard, online, 21. 8. 2013).

Foto: Rike  / pixelio.de

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