Österreich: Alkoholsucht wird häufig zu spät erkannt
Alkoholismus ist ein psychisches, soziales, aber auch wirtschaftliches Problem
Zehn Prozent der Österreicher werden im Laufe ihres
Lebens alkoholkrank. Fünf Prozent von österreichischen Jugendlichen ab
dem 16. Lebensjahr sind als alkoholkrank zu klassifizieren – das sind
350.000 Menschen.
Die Misere des hohen Alkoholkonsums und der häufig
bestehenden Abhängigkeit ist nicht nur ein gesundheitliches, sondern
auch ein volkswirtschaftliches Problem: Direkte medizinische Kosten,
direkte nichtmedizinische Kosten (Sozialleistungen) und die
Produktivitätsausfälle bedeuteten unter Einrechnung der Alkoholsteuer
2011 ein Minus von 737,9 Millionen Euro. Das ergab eine Studie des Instituts für Höhere Studien (IHS), berichtet der Standard (online, 25. 7. 2013).
Österreich steht mit einem jährlichen reinen Alkoholkonsum von 12,9
Litern pro Kopf international (OECD) auf dem dritten Platz hinter
Frankreich und Portugal.
Michael Musalek, Psychiater und Leiter des
Anton-Proksch-Instituts in Wien, fordert angesichts der erschreckenden
Daten ein Umdenken der Gesellschaft: Es braucht ein Ende der
Bagatellisierung der Alkoholsucht und mehr Möglichkeiten und Angebote
zur Rehabilitation sowie zur Reintegration ins Berufsleben.
Eine GfK-Umfrage unter niedergelassenen Ärzten, die am Rande der Alpbacher Gesundheitsgespräche präsentiert wurde (vgl. Standard, online, 19. 8. 2013),
ergab, dass sich in 40 Prozent der Fälle der Hinweis auf eine
Alkoholkrankheit erst durch eher zufällig erhobene Befunde im Rahmen
anderer Untersuchungen ergab. 80 bis 90 Prozent der befragten Fachärzte,
die mit Alkoholkranken beschäftigt sind, gaben an, sie würden die
Patienten viel zu spät sehen.
Laut der Umfrage werden 25 Prozent der
diagnostizierten Alkoholiker weder medikamentös noch psychotherapeutisch
behandelt. Nur 22 Prozent der Allgemeinmediziner sagen, sie würden
sich mit der Alkoholkrankheit „sehr gut auskennen“, 76 Prozent sind
„eher“ oder „sehr unzufrieden“ mit der Verfügbarkeit von
Therapieangeboten.
Als eine der Ursachen für steigende
Suchterkrankungsraten sieht Psychiater Musalek die Erfolgsgesellschaft:
„Heute wird gerne behauptet, dass wir in einer Leistungsgesellschaft
leben. Aber nicht Leistung wird honoriert, sondern Erfolg.“ Dadurch
würden viele Menschen in eine stetige Leistungsüberforderung
hineingedrängt. Suchtmittel würden als „Ausweg“ eingesetzt: als
Dopingmittel, zur Entspannung sowie zur Bewältigung von Ängsten oder
Sorgen. „Wir müssen uns aber auch überlegen, ob wir in einer
Gesellschaft leben wollen, die uns stark suchtgefährdet“, gab Musalek
beim Europäischen Forum Alpbach zu bedenken. Sein Gegenkonzept: die Rückkehr zu einer „solidarischen Leistungsgesellschaft“ (vgl. Standard, online, 21. 8. 2013).
Quelle: IMABE-Newsletter September 2013
Foto: Rike / pixelio.de
Labels: Alkohol, Erfolgsgesellschaft, Umfrage
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