Studie: Grippemittel Tamiflu so gut wie nutzlos und dennoch millionenfach gelagert
Harsche Vorwürfe gegen Regierungen, WHO-Empfehlung und die Pharmaindustrie
Die Grippemittel Tamiflu und Relenza sind nach einer im British Medical Journal publizierten groß angelegten Studie so gut wie nutzlos (BMJ 2014; 348: g2545).
Diesem Ergebnis ging ein jahrelanger Kampf zwischen Wissenschaftlern
aus Oxford und Harvard und den Pharmafirmen voraus. Die nun vorliegende
erdrückende Faktenlage des 550 Seiten dicken Cochrane-Reviews (DOI: 10.1002/14651858.CD008965.pub4) zu Neuraminidasehemmern weist auf den weltweit vielleicht größten und kostspieligsten Medizinskandal hin (vgl. Süddeutsche Zeitung, online, 10. 4. 2014).
Die aktuelle Metaanalyse zeigt: Die Medikamente
verkürzten die Symptome der Krankheit nur um rund einen halben Tag.
Gleichzeitig riskierten Patienten jedoch häufiger und schwerere
Nebenwirkungen als bisher bekannt. Hinweise darauf, dass die Mittel
bestimmte Komplikationen und Einlieferungen ins Krankenhaus verhindern,
fanden die Forscher um Tom Jefferson vom Cochrane-Team nicht. Relenza
hatte keinen Einfluss auf die Todesrate durch Grippe.
Tamiflu ist das meistverkaufte Grippemittel der
Welt. Um für die Vogelgrippe (2005) und die Schweinegrippe (2009)
gewappnet zu sein, haben Regierungen weltweit Tamiflu im Wert von rund
10 Milliarden US-Dollar gehortet. Behörden wie die WHO oder die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA)
hatten offizielle Empfehlungen zum Einsatz von Tamiflu ausgesprochen –
ohne dass sie dabei auf die vollständigen Studiendaten zugreifen
konnten. Auf dem Höhepunkt der Pandemieangst wurde Tamiflu für Roche zum
Verkaufsschlager. Seit 2002 machte Roche mit seinem Grippemittel einen
Umsatz von rund 12 Milliarden Dollar.
Bereits 2009 hatte die Cochrane Collaboration,
eine gemeinnützige Organisation, die große Übersichtsarbeiten erstellt
und unter anderem Politiker in Gesundheitsfragen berät, Zweifel an der
Wirksamkeit von Tamiflu geäußert. Die Herstellerfirma Roche war jedoch
bis vor kurzem nicht bereit, die Daten zur unabhängigen Prüfung
herauszugeben.
Die Cochrane-Mitarbeiter hatten nun 20 Studien zu
Tamiflu und 26 zu Relenza mit insgesamt mehr als 24.000 Teilnehmern
ausgewertet (vgl. Spiegel, online, 10. 4. 2014). Der Hersteller von Tamiflu, das Unternehmen Hoffmann-La Roche, und auch Glaxo Smith Kline,
Hersteller von Relenza, widersprechen den Schlussfolgerungen der
Cochrane-Gruppe. Sie verteidigen ihre milliardenfach verkauften
Medikamente immer noch als nutzbringend.
Als „Multiorganversagen“ bezeichnen die
Cochrane-Forscher Tom Jefferson und Peter Doshi hingegen das fehlende
Engagement von WHO, CDC und europäischen Arzneimittelbehörden, die sich
nicht um die Beweiskraft der Studien gekümmert haben und auch nicht
auf die Idee kamen, selbst die jahrelang von Roche zurückgehaltenen
Patientendaten einzufordern (vgl. BMJ 2014; 348: g2263).
Sie appellieren an die Entscheidungsträger, nicht weiter auf die
unnötigen Medikamente zu setzen. Insbesondere sollten sich die Staaten
überlegen, ob es sinnvoll gewesen sei, diese Medikamente millionenfach
für den Fall einer großen Epidemie einzulagern. (vgl. Prat E. H., Ethischer Fallbericht der Pharmaindustrie: Tamiflu, in: Imago Hominis 2013; 20(3): 162-166).
Quelle: Imabe-Newsletter Mai 2014
Foto: Screenshot Süddeutsche
Labels: Grippe, Pharmaindustrie, Studie, Tamiflu, WHO
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