Euthanasie: Vier Mythen zur Legalisierung des assistierten Suizid
Angehörige leiden nach Euthanasie an posttraumatischer Belastungsstörung
Die Bürgerinitiative Death With Dignity
im US-Bundesstaat Massachusetts hat ihr Ziel nicht erreicht: In einer
knappen Abstimmung am 6. November 2012 sprachen sich 51 Prozent der
Wähler gegen eine Legalisierung der ärztlichen Beihilfe zum Selbstmord
aus. Der Gesetzesentwurf sah vor, dass Schwerkranke, die nach
Einschätzung der Ärzte „weniger als sechs Monate Lebenswartung“ haben,
zukünftig legal tödliche Medikamentendosen erhalten dürfen. Die
Patienten müssten zurechnungsfähig sein, aus freiem Willen entscheiden
sowie ihren Wunsch schriftlich und zweimal mündlich äußern, hieß es in
der Vorlage. Euthanasie ist bislang nur in zwei der 50 US-Bundesstaaten -
Oregon und Washington - zulässig.
Kritiker der Initiative warnten vor Missbrauch.
Prognosen zur Lebenserwartung seien schwierig und „nicht immer
korrekt“, erklärte der Ärzteverband Massachusetts Medical Society.
Der demokratische Kongressabgeordnete Barney Frank argumentierte
dagegen, bei der Sterbehilfe gehe es um „individuelle Rechte und
persönliche Freiheit“.
Ezekiel Emanuel, prominenter Bioethiker der University of Pennsylvania School of Medicine sowie Fellow des Hasting Center hatte im Vorfeld des Referendums in der New York Times (online, 27. Oktober 2012) die „Vier Mythen zur Legalisierung des ärztlich assistierten Suizid“ kritisiert.
Patienten, so heißt es, würden den ärztlich
assistierten Suizid wegen unerträglicher körperlicher Schmerzen
fordern. Das stimme so nicht: Studien zeigen, dass das Hauptmotiv nicht
körperliche Schmerzen sind, sondern „psychische Belastungen“ wie
Depression, Hoffnungslosigkeit und Angst vor dem Verlust von Autonomie.
Die Antwort auf Selbstmordgedanken, die mit Depressionen und
Hoffnungslosigkeit verbunden sind, könne aber nicht sein, Menschen
Mittel bereit zu stellen, um ihr Leben zu beenden, sondern ihnen
Beratung und Betreuung anzubieten, so Emanuel.
Ein weiteres Scheinargument: Die Forderung nach
Beihilfe zum Selbstmord sei eine unausweichliche Folge der Entwicklung
der High-Tech-Medizin, wenn sie ein Leben unnötig und unwürdig
verlängere. Wie kommt es dann, fragt der Bioethiker, dass schon
Griechen und Römer Euthanasie-Befürworter waren? Nicht die Fortschritte
der Hightech-Medizin seien hier treibende Kraft, sondern die
Verherrlichung der persönlichen Entscheidung des Individuums.
Mythos Nummer Drei laute, dass der ärztlich
assistierte Suizid die Möglichkeit garantiere, für alle das Lebensende
zu verbessern, wenn jedes Individuum einen qualvollen Tod vermeiden
könne. Tatsache sei aber, dass selbst dort, wo ärztlich assistierter
Suizid legal ist, nur wenige Menschen darauf zurückgreifen. Wer würde
also von einer Legalisierung der Sterbehilfe „profitieren“? Eine kleine
Elite Reicher, gut Gebildeter. Und wer sind die Menschen, die am
ehesten missbraucht werden, wenn assistierter Suizid legalisiert wird?
fragt Emanuel: „Die armen, schlecht ausgebildeten, sterbenden
Patienten, die eine Belastung für ihre Angehörigen darstellen“.
Schließlich stelle der ärztlich assistierte Suizid
selbst im medizinischen Sinn keinen „guten Tod“ dar, schließt Emanuel
seine Kritik. Laut einer niederländische Studie käme es immer wieder zu
Komplikationen nach Einnahme des tödlichen Medikaments – das nicht
wirkt, den Tod über Tage hinauszögert und in 18 Prozent der Fälle dazu
führt, dass Ärzte direkt in die Tötung eingreifen müssen.
Auch für Angehörige scheint der „sanfte, sichere und
würdige Tod durch Einschlafen im eigenen Zuhause, umgeben von den
engsten Angehörigen“ – so die Versprechen auf der Homepage des
Schweizer Suizidbeihilfeverbandes Exit – alles andere als harmonisch. Dies zeigt das Ergebnis einer jüngst im Fachjournal European Psychiatry publizierten Studie (2012: 27, 7, 542–546),
in der 85 Familienmitglieder oder enge Freunde von Sterbewilligen
befragt wurden, die vor 14 bis 24 Monaten einem assistierten Suizid
durch Exit beigewohnt haben. 20 Prozent hatten eine
posttraumatische Belastungsstörung (PTBS), bei zwei Dritteln der
Befragten waren die Symptome voll ausgeprägt. 16 Prozent hatten eine
Depression und 5 Prozent litten immer noch unter ähnlich starker Trauer
wie in den ersten Monaten (eine sogenannte komplexe Trauerreaktion).
Dazu trug allerdings nicht nur die Situation der Sterbebegleitung
selbst bei, sondern auch die forensische Untersuchung durch Polizei,
Ärzte und Staatsanwaltschaft, die in der Schweiz jedem Freitod zwingend
folgt, ergänzen die Studienautoren.
Die Österreichische Gesellschaft für Palliativmedizin hat sich in einer aktuellen Pressemitteilung (online 5.11.2012)
entschieden dafür ausgesprochen, die in Österreich geltende
Gesetzeslage, in der die Hilfe zum Selbstmord unter Strafe steht,
beizubehalten.
Quelle: IMABE-Newsletter November 2012
Labels: Angehörige, Assistierter Suizid, Euthanasie, Legalisierung, Posttraumatische Belastungsstörung
0 Kommentare:
Kommentar veröffentlichen
Abonnieren Kommentare zum Post [Atom]
<< Startseite