Studie: Allgemeinärzte verschreiben zu viele Medikamente mit zu wenig Nutzen
Ein Drittel aller Medikamente wird ohne wissenschaftliche Begründung verschrieben
Fast ein Drittel der Medikamente wird ohne
„Evidenzbasis“ verschrieben, das heißt, dass es keinen
wissenschaftlichen Nachweis für den Nutzen gibt. Das ist ein Ergebnis
einer Vorabstudie (169 Patienten aus 22 allgemeinmedizinischen
Praxen) der Arbeitsgruppe von Andreas Sönnichsen, Leiter des
Instituts für Allgemeinmedizin und Familienmedizin an der Universität Witten/Herdecke (vgl. Pressemitteilung, online, 15. 11. 2013).
Polypharmazie, d. h. die gleichzeitige Verordnung
von mehr als fünf unterschiedlichen Arzneimitteln in einem
definierten Zeitraum, ist wegen der nicht bekannten oder nicht
überschaubaren Wechselwirkungen und den praktischen Schwierigkeiten,
sie korrekt einzunehmen, ein generelles Problem. Nach Studien aus den
Niederlanden, Österreich und anderen Ländern sind laut Sönnichsen 5
bis 10% aller internistischen Krankenhausaufnahmen von älteren
Patienten auf unerwünschte Arzneimittelwirkungen zurückzuführen.
In dieser Studie wurden Patienten untersucht, denen
im Durchschnitt etwa neun verschiedene Medikamente pro Tag verordnet
worden waren. Im Mittel fand sich bei 2,7 Medikamenten/Patient keine
wissenschaftliche Begründung für die Verordnung. Über 90% der Patienten
wiesen mindestens eine unbegründete Arzneimittelverschreibung auf.
Darüber hinaus fanden sich Dosierungsfehler (bei 56% der Patienten),
relevante Interaktionen zwischen den Medikamenten (bei 59% der
Patienten) und Verordnungen von Medikamenten, die bei alten Menschen
nicht verordnet werden sollten (37% der über 65jährigen).
Die Forschergruppe hält die Hausärzte für
„überfordert“, die Medikamente kritisch zu durchforsten, vor allem
wenn Patienten mit „langen Medikationslisten aus der Klinik entlassen
werden oder von verschiedenen Fachärzten zurückkommen: „Wie sollen sie
entscheiden, welches Medikament wirklich erforderlich ist“? Die nun
anlaufende europaweite Hauptstudie der Universität Witten/Herdecke (vgl. Deutsche Apotheker-Zeitung, online, 19. 11. 2013)
soll untersuchen, inwieweit eine eigens entwickelte Software den
Hausärzten als Entscheidungshilfe dienen kann. Der elektronische
Medikamenten-Check soll unter Berücksichtigung von Diagnosen,
Laborwerten und Begleiterkrankungen usw. – Vorschläge machen, welche
Medikamente am ehesten entbehrlich oder gar schädlich sind.
Ein besseres und elektronisch verfügbares Wissen
allein verhindert aber nicht verlässlich die Verordnung von
unwirksamen, nicht indizierten oder zu vielen Arzneimitteln (vgl. dazu
eine aktuelle Studie Journal Amercian Medical Informatics Association (JAMIA, doi: 10.1136/amiajnl- 2013-001813; vgl. auch Beubler E., Polypragmasie: Bringt E-Health die Lösung?, Imago Hominis (2010); 17(2): 121-126).
Quelle: IMABE-Newsletter Dezember 2013
Foto: Thommy Weiss / pixelio.de Labels: Allgemeinarzt, Medikament, Studie, Verordnung
0 Kommentare:
Kommentar veröffentlichen
Abonnieren Kommentare zum Post [Atom]
<< Startseite