Montag, 16. Dezember 2013

Studie: Allgemeinärzte verschreiben zu viele Medikamente mit zu wenig Nutzen

Ein Drittel aller Medikamente wird ohne wissenschaftliche Begründung verschrieben

Fast ein Drittel der Medikamente wird ohne „Evidenzbasis“ verschrieben, das heißt, dass es keinen wissenschaftlichen Nachweis für den Nutzen gibt. Das ist ein Ergebnis einer Vorabstudie (169 Patienten aus 22 allgemeinmedizinischen Praxen) der Arbeitsgruppe von Andreas Sönnichsen, Leiter des Instituts für Allgemeinmedizin und Familienmedizin an der Universität Witten/Herdecke (vgl. Pressemitteilung, online, 15. 11. 2013). 

Polypharmazie, d. h. die gleichzeitige Verordnung von mehr als fünf unterschiedlichen Arzneimitteln in einem definierten Zeitraum, ist wegen der nicht bekannten oder nicht überschaubaren Wechselwirkungen und den praktischen Schwierigkeiten, sie korrekt einzunehmen, ein generelles Problem. Nach Studien aus den Niederlanden, Österreich und anderen Ländern sind laut Sönnichsen 5 bis 10% aller internistischen Krankenhausaufnahmen von älteren Patienten auf unerwünschte Arzneimittelwirkungen zurückzuführen. 

In dieser Studie wurden Patienten untersucht, denen im Durchschnitt etwa neun verschiedene Medikamente pro Tag verordnet worden waren. Im Mittel fand sich bei 2,7 Medikamenten/Patient keine wissenschaftliche Begründung für die Verordnung. Über 90% der Patienten wiesen mindestens eine unbegründete Arzneimittelverschreibung auf. Darüber hinaus fanden sich Dosierungsfehler (bei 56% der Patienten), relevante Interaktionen zwischen den Medikamenten (bei 59% der Patienten) und Verordnungen von Medikamenten, die bei alten Menschen nicht verordnet werden sollten (37% der über 65jährigen). 

Die Forschergruppe hält die Hausärzte für „überfordert“, die Medikamente kritisch zu durchforsten, vor allem wenn Patienten mit „langen Medikationslisten aus der Klinik entlassen werden oder von verschiedenen Fachärzten zurückkommen: „Wie sollen sie entscheiden, welches Medikament wirklich erforderlich ist“? Die nun anlaufende europaweite Hauptstudie der Universität Witten/Herdecke (vgl. Deutsche Apotheker-Zeitung, online, 19. 11. 2013) soll untersuchen, inwieweit eine eigens entwickelte Software den Hausärzten als Entscheidungshilfe dienen kann. Der elektronische Medikamenten-Check soll unter Berücksichtigung von Diagnosen, Laborwerten und Begleiterkrankungen usw. – Vorschläge machen, welche Medikamente am ehesten entbehrlich oder gar schädlich sind. 

Ein besseres und elektronisch verfügbares Wissen allein verhindert aber nicht verlässlich die Verordnung von unwirksamen, nicht indizierten oder zu vielen Arzneimitteln (vgl. dazu eine aktuelle Studie Journal Amercian Medical Informatics Association (JAMIA, doi: 10.1136/amiajnl- 2013-001813; vgl. auch Beubler E., Polypragmasie: Bringt E-Health die Lösung?, Imago Hominis (2010); 17(2): 121-126).

Foto:  Thommy Weiss  / pixelio.de

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Donnerstag, 21. März 2013

PID: Deutschland erlaubt Selektion von Embryonen ab Februar 2014

Schwammige Indikationen und fehlende Kontrolle öffnen Markt für PID, sagen Kritiker

Es war ein letztes Aufgebot: Im Herbst 2012 hatten deutsche Abgeordnete von CDU/CSU, Grünen, SPD und Linken noch versucht, die Verordnung zur umstrittenen Präimplantationsdiagnostik zu verhindern (vgl. September 2012: Deutschland: Politiker kritisieren PID-Verordnung als nicht gesetzeskonform). Nun stimmte nach monatelangem Streit das Bundeskabinett der Verordnung zur Regelung der Präimplantationsdiagnostik (PIDV Bundesgesetzblatt Jahrgang 2013 Teil I Nr. 9, 25. Februar 2013) von Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) zu. Die Verordnung tritt per 1.2.2014 in Kraft. Bis dahin bleibt die Präimplantationsdiagnostik (PID), die in dafür eigens zugelassenen Zentren nach Bewilligung durch eine achtköpfige Ethikkommission mit Zweidrittel-Mehrheit durchführt werden darf, noch verboten. Danach dürfen auch in Deutschland künstlich erzeugte Embryonen mittels PID auf schwere Erbkrankheiten untersucht und aussortiert werden.
Bereits im Juli 2011 hatte der Bundestag nach emotionaler Debatte ohne Fraktionszwang der begrenzten Zulassung der PID bei einem grundsätzlichen Verbot zugestimmt. Anders als von Minister Bahr vorgesehen, werden Zentren keinen Rechtsanspruch auf Zulassung haben. Die Zulassung soll davon abhängig gemacht werden, ob es überhaupt einen Bedarf gibt. Laut Schätzungen dürften in Deutschland, wenn die strengen Regeln eingehalten würden, ohnehin nur 250 bis 400 Paare jährlich die PID in Anspruch nehmen. Die Forderung von PID-Kritikern überhaupt nur zwei bis drei Zentren zuzulassen – was für den Bedarf völlig ausreichend gewesen wäre –, wurde aber vom FDP-Gesundheitsminister abgelehnt. Damit bleibt die Sorge, dass eine höhere Zahl an PID-Zentren (und damit ein wachsender Markt) auch eine Ausweitung der Indikation für einen Embryonencheck mit sich bringt.
Außerdem ist nicht vorgesehen, dass die Spruchpraxis der Ethikkommissionen erfasst wird. Die Ethikkommissionen müssen bei einer Erlaubnis für eine PID bloß den Begründungstyp melden (elterliche Vorbelastung, Risiko für Tot- oder Fehlgeburt). Was sie dann aber genau unter einer „schwerwiegenden Erbkrankheit“ verstehen, bleibt unbenannt. Damit, so Kritiker, werden künftige Aussagen darüber, ob in Deutschland PID hinsichtlich der Indikationen zurückhaltend oder ausufernd eingesetzt wird, spekulativ bleiben müssen.
Im Informationsvideo Minenfeld PID. Was Präimplantationsdiagnostik mit unseren Kinder macht melden sich Betroffene und Experten kritisch zur PID zu Wort, unter ihnen IMABE-Geschäftsführerin Susanne Kummer. Das sechsminütige von Jugend für das Leben produzierte Video ist online unter http://pid.youthforlife.net/ abrufbar. Fakten, Daten und ethische Bewertung der PID finden sich auch in der IMABE-Info zur Präimplantationsdiagnostik 2012.

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Montag, 17. September 2012

Deutschland: Politiker kritisieren PID-Verordnung als nicht gesetzeskonform

Widersprüche werden deutlich, es gibt nicht „ein bisschen Selektion“, sagt IMABE

Die Verordnung, wie die umstrittene Präimplantationsdiagnostik (PID) in Deutschland nun in der Praxis geregelt werden soll, beschert Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) scharfen Gegenwind (vgl. IMABE-Newsletter, August 2012). Der nun vorgelegte Entwurf für die lang erwartete Regelung stehe im Widerspruch zum Willen des Gesetzgebers, kritisieren Politiker aller Parteien. Statt der gesetzlich festgelegten Begrenzung des Genchecks von Embryonen im Reagenzglas auf Ausnahmefälle sei nun im Verordnungsentwurf „eine Ausweitung der PID angelegt“, heißt es in dem an Bahr gerichteten Schreiben der Abgeordneten von CDU/CSU, Grünen, SPD und Linken, berichtet die Ärzte Zeitung (online 11.9.2012).

Das im Juli 2011 vom Deutschen Bundestag beschlossene Gesetz stellt rechtstechnisch die PID unter Strafe, lässt eine Untersuchung aber dann zu, wenn eine hohe Wahrscheinlichkeit für eine schwerwiegende Erbkrankheit oder schwere Schädigung des Embryos zu erwarten ist. Definiert werden diese unbestimmten Rechtsbegriffe nicht.

Die Abgeordneten kritisieren weiters, dass die Zahl der PID-Zentren nicht festgelegt sei, womit die Gefahr einer „ungewollten Leistungsausweitung“ entstünde. Zudem seien Qualitätsstandards fraglich, wenn viele Zentren nur hin und wieder eine PID durchführten. Bundesweit geht man nur von rund 200 Fällen pro Jahr aus. Würde man sich an die Vorgaben des Gesetzes halten, wäre eine kleine Anzahl von Zentren ausreichend.

Skeptisch beurteilt die Gruppe auch die Regelung, wonach die psychosoziale Beratung der Paare über die Folgen der PID in den reproduktionsmedizinischen Zentren selbst stattfinden soll. Das beratende Personal sei damit abhängig von „wirtschaftlichen Interessen“ der Einrichtung. Ein weiterer Kritikpunkt ist, dass die Diagnosen oder Erkrankungen, mit der eine PID gerechtfertigt wird, statistisch nicht erfasst werden sollen. Somit lasse sich eine schleichende Ausweitung des Indikationsspektrums nicht kontrollieren.

Ein Inkrafttreten der Verordnung ist für 2013 geplant. Zuvor muss der Bundesrat zustimmen. Doch die Gesundheitsminister von sechs Ländern haben bereits signalisiert, dass sie ihrer Landesregierung keine Zustimmung für eine unbegrenzte Zahl von PID-Zentren empfehlen werden. Aufgrund der fehlenden Rechtsverordnung darf die PID in Deutschland derzeit nicht durchgeführt werden.

„Für Österreich, in der die Vorab-Selektion von Embryonen noch verboten ist, ist das Beispiel Deutschland ein lehrreiches Stück“, gibt Susanne Kummer, stv. IMABE-Geschäftsführerin, zu Bedenken. „Eine Pandora-Büchse lässt sich nicht einfach nur kurz und nur ein paar Millimeter öffnen. Es gibt eben nicht ‚ein bisschen Selektion’, genauso wenig wie eine ‚Zeugung auf Probe’“, betont Kummer und ergänzt: „Die Frage ist, ob hiesige Verantwortliche die richtigen Konsequenzen aus der deutschen Problematik ziehen: nämlich die PID ausnahmslos zu verbieten.“

Quelle: IMABE-Newsletter September 2012

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