Mittwoch, 13. Juli 2011

Die vielen ungelösten Fragen der Reproduktionsmedizin

Jüngste Signale aus Bioethikommission und Parteien - mit Ausnahme der ÖVP - deuten auf eine Liberalisierung der geltenden Legistik zur Fortpflanzungsmedizin. - Zeichen der Hoffnung oder der Fahrlässigkeit?

DER STANDARD | Kommentar der anderen | 12. Juli 2011 19:54

In welche Richtung bewegt sich die Fortpflanzungsmedizin in Österreich? Was ist machbar? Was hat welche Folgen? Was ist ethisch vertretbar- und was soll gesetzlich erlaubt und geregelt sein? Mit diesen Fragen hat die Bioethikkommission beim Bundeskanzleramt jüngst das Scheinwerferlicht auf sich gezogen und der Öffentlichkeit ausgerichtet, dass es nun eine gesellschaftspolitische Debatte zu diesen Themen brauche. Das ist löblich!

Wer sich dann aber die Aussagen der derzeitigen Vorsitzenden der Kommission in einem Zeitungsinterview näher ansieht, muss zu dem Schluss kommen, dass sie in der Debatte offenbar zwei Dingen ausweichen will: erstens den medizinischen Daten, die die Fortpflanzungsmedizin liefert und die ein sehr widersprüchliches Bild der neuen Techniken zur Erfüllung des Kinderwunsches abgeben. Und zweitens einer breiten öffentlichen Debatte. Die hätte nämlich schon stattfinden müssen, wenn schon bis zum Herbst dem Kanzleramt eine Stellungnahme für Gesetzesänderungen vorlegt werden soll. Zum Vergleich: In Deutschland wurde alleine über die Frage der Präimplantationsdiagnostik (PID - Gencheck und Vorselektion von Embryonen im Rahmen einer künstlichen Befruchtung) seit neun (!) Jahren öffentlich debattiert, unter Einbindung sämtlicher Interessenverbände wie Behindertenvereine, Kirchen und Experten.

Fragwürdige Begehrlichkeit

Als Chirurgin und ehemalige Vorständin einer Innsbrucker Universitätsklinik, an der teils spektakuläre medizinische Eingriffe zum Wohle des Patienten geglückt sind, stehe auch ich staunend vor dem technischen Fortschritt der Medizin. So hoch die Technik in der Fortpflanzungsmedizin einzuschätzen ist, geht es aber bei diesem Thema um mehr.

Wer ernsthaft über das Thema der Fortpflanzungsmedizin und einer möglichen Novellierung des österreichischen Gesetzes debattieren will, muss zunächst informieren. - Worüber?

Zum Beispiel darüber, dass die Frauen, denen hohe Hormondosen gegeben werden, damit mehrere Eizellen heranreifen ("Überstimulation"), gesundheitlich angegriffen und die überzähligen Eizellen chromosomal geschädigt werden können. Britische Reproduktionsmediziner hatten darauf hingewiesen, dass dieses Problem in Expertenkreisen schon lange bekannt sei, aber noch viel zu wenig in der breiten Öffentlichkeit.

Ein Zweites: Warum gibt es in Österreich keine genauen Zahlen darüber, wie viele menschliche Eizellen jährlich gewonnen werden, wie viele im Zuge einer In-vitro-Fertilisierung befruchtet werden, wie viele Embryonen eingefroren und gelagert werden, ab dem wievielten Versuch es zu einer Schwangerschaft kommt - und wie hoch die tatsächliche Baby-Take-Home-Rate ist? Private Fertilisierungszentren warten mit einer Erfolgsrate von 30 bis 40 Prozent auf, während diese in der Fachliteratur weit niedriger angegeben wird.

Großbritannien ist da viel nüchterner. Hier eine Kostprobe aus dem Datenmaterial der zuständige Aufsichtsbehörde Human Fertilisation and Embryology Authority (HFEA): Allein im Jahr 2006 wurden in Großbritannien 236.581 menschliche Embryonen hergestellt, 74.475 Embryonen in den Mutterleib übertragen, 49.351 Embryonen für etwaige spätere Versuche tiefgekühlt gelagert, 112.755 Embryonen weggeworfen - und 13.000 IVF-Kinder geboren.

Ein drittes: In zahlreichen Ländern ist die PID seit zehn oder mehr Jahren erlaubt. Sind dort die Schwangerschaftsraten gestiegen, mehr gesunde Kinder auf die Welt gekommen - oder gab es mehr Abtreibungen, weil der Anspruch auf ein gesundes Kind im Zuge der IVF noch höher als bei normalen Schwangerschaft ist?

Dass mit dem Zur-Verfügung-Stellen der Techniken die Begehrlichkeiten auf ein "Null-Fehler-Baby" steigen, ist eine Entwicklung, die ich mit Sorge verfolge. Mehrmals wandten sich stark verunsicherte Frauen an mich, deren Kind Deformationen an den Gliedmaßen hatte. - Abtreiben? Austragen? Könnte das Testen eines Embryos nicht auch dazu führen, dass jemand, der mit vierzig Jahren an Brustkrebs erkrankt, darauf verweist, dass es zum Zeitpunkt seiner Zeugung schon genetische Tests gegeben hätte - und eine Klage einreicht? Nicht nur Ärzte, auch die Eltern könnten dieser Denkart zufolge bald verklagt werden: Warum habt ihr mich nicht getestet?

Und dann ist da noch die Frage, in welche Richtung wir uns als Gesellschaft entwickeln wollen. Gesetze spielen da eine wichtige, weil richtungweisende Rolle: Was legal ist, gilt als gut. Ist es aber auch rechtens?

Der Wunsch nach Gesundheit und Perfektion wird inzwischen nicht nur als Recht für den eigenen Körper, sondern auch als Pflicht bei anderen Menschen eingefordert. Man benützt technisch faszinierende Methoden, um über das Er- oder Nichterleben anderer zu entscheiden. Sind wir schon so "weh-leidig" geworden, dass wir, um die Krankheit loszuwerden, den Kranken eliminieren?

Hoher Diskussionsbedarf

Heute befinden wir uns in dieser Situation: Die Gesellschaft soll entscheiden, wer für andere Menschen ertragbar ist. So einfach, am besten durch ein Gesetz. - Was aber, wenn dieser auch "gesund" im Reagenzglas erzeugte und als solcher auch von der Gesellschaft als äußerlich gesund zum Leben frei gegebene Mensch im Alter von fünf Jahren von einem Auto überfahren wird und danach querschnittsgelähmt auf die Hilfe anderer angewiesen ist? Wer entscheidet dann, ob dieses Leben lebenswert ist?

Es sind noch viele Fragen offen. Ein schrittweises Vorgehen in dieser heiklen Angelegenheit ist angebracht: als Erstes informieren, dann breit debattieren und erst dann dem Gesetzgeber eine Empfehlung abgeben. (Hildegunde Piza, DER STANDARD; Printausgabe, 13.7.2011)

Hildegunde Piza, Jg. 1941, war Vorständin der Universitätsklinik für Plastische und Wiederherstellungschirurgie in Innsbruck, bis 2007 Mitglied der Bioethikkommission beim Bundeskanzleramt und ist dreifache Mutter.

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Dienstag, 12. Juli 2011

Großbritannien: Immer mehr Raucher unterstützen „rauchfreies Gesetz“

Keine Hinweise auf negative Auswirkungen auf Gastgewerbe

Vier Jahre nach der Einführung der strikten Anti-Raucher-Gesetze in Großbritannien zeigt eine aktuelle Umfrage, dass die Unterstützung für die Maßnahme in der Bevölkerung mit 78% hoch ist. Dies teilt die Organisation Action on Smoking and Health (ASH) in einer Pressemitteilung (online 29.6.2011) mit. Überraschend dabei: Inzwischen unterstützen auch fast die Hälfte aller Raucher (47%) das Gesetz.

In Großbritannien herrscht in England, Wales und Schottland in allen gastronomischen Einrichtungen, Pubs wie Restaurants ein generelles Rauchverbot. Ebenso ist auch in öffentlichen Gebäuden sowie am Arbeitsplatz das Rauchen nicht erlaubt.

Laut der jüngsten Online-Befragung, die unter 10.238 Erwachsene über 18 Jahren durchgeführt wurde, unterstützen 78% der Erwachsenen das Gesetz, 13% sind dagegen. Unter den „rauchenden“ Unterstützern halten 72% das Gesetz für gut in Hinblick auf die Gesundheit der Arbeitnehmer, 59% in Hinblick auf die öffentliche Gesundheit und 55% in Hinblick auf ihre eigene Gesundheit.

Diese Ergebnisse stünden in krassem Gegensatz zu den Behauptungen der Save Our-Pubs-Kampagne – eine von der Tabakindustrie finanzierte Lobbygruppe -, die behauptet, dass das Anti-Raucher-Gesetz in Lokalen für das Schließen von Pubs verantwortlich sei. Hintergrund dieser Kampagne sei es, das Gesetz dahingehend zu ändern, das Rauchen in Pubs wieder zu erlauben.

Die Umfrage ergänzt eine unabhängige, von der Regierung im März 2011 in Auftrag gegebene Überprüfung der Auswirkungen der Anti-Raucher-Gesetze auf die Gästeanzahl und den Umsatz in Pubs und Restaurants. Dabei wurde festgestellt, dass diese nach der Einführung der Gesetzgebung nicht signifikant abgenommen hatten – im Gegenteil: Umsätze bei Essen und Alkohol stiegen, ebenso die Netto-Zahl der Lokalgäste.

Dazu meint Deborah Arnott, Geschäftsführerin der 1971 vom Royal College of Physicians gegründeten ASH: "Pubs wurden wie alle kleinen Unternehmen hart von der Rezession getroffen. Dass aber, wie die Tabak-Lobby behauptet, Tausende von Pubs in England und Wales wegen des Rauchverbots gefährdet sind, geschlossen zu werden, darf man nicht so stehen lassen. Die britische Öffentlichkeit genießt die Vorteile der rauchfreien Trink- und Essräumlichkeiten. Es gibt offenbar wenig Lust auf eine Rückkehr zu den schlechten alten Tagen der rauchigen Pubs."

Quelle: Imabe-Newsletter Juli 2011

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Public Health: Gesunder Lebensstil senkt Risiko für plötzlichen Herztod

Nichtrauchen, Normalgewicht, Sport und gesunde Ernährung als Erfolgsfaktoren

Vier gesunde Lebensweisen senken das Risiko, einen plötzlichen Herztod zu erleiden, um 92 Prozent. Dies zeigt eine Analyse der Nurses' Health im Journal of the American Medical Association (JAMA 2011; 306: 62-69). Auf den plötzlichen Herztod entfällt mehr als die Hälfte aller kardialen Todesfälle, allein in den USA sind dies zwischen 250.000 und 310.000 Fälle jährlich.

Ein gesunder Lebensstil könnte dies in den meisten Fällen vermeiden, wozu vier wichtige Lebensregeln zählen: Nicht rauchen, schlank bleiben (Body-Mass-Index unter 25), täglich eine halbe Stunde Sport und sich mediterran ernähren mit viel Obst und Gemüse, Nüssen, Hülsenfrüchten, Vollkornprodukten und Fisch sowie Alkohol in Maßen.

In der Nurses' Health Study, die 81.722 Krankenschwestern über 26 Jahre begleitete, nahm das Risiko für einen plötzlichen Herztod um so stärker ab, je mehr der vier Regeln eingehalten wurden. Von den insgesamt 321 Todesfällen entfielen nur 3 auf Frauen mit dem vorbildlichen Low Risk Lifestyle, der alle Kriterien erfüllte, heißt es in der Pressemitteilung von JAMA (online 5.7. 2011).

Stephanie Chiuve vom Brigham and Women's Hospital in Boston errechnet eine Risikominderung um 92 Prozent (relatives Risiko 0,18; 95-Prozent-Konfidenzintervall 0,07-0,49). Wenn alle Frauen in den USA sich an die Regeln hielten, könnten 81 Prozent aller Todesfälle an plötzlichem Herztod vermieden werden, wie den Angaben zum attributablen Risiko zu entnehmen ist.

Quelle: Imabe-Newsletter Juli 2011

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Studie: Menschenwürdige Pflege älterer Patienten ist noch lückenhaft

Älterer Mensch scheint im britischen Akut-Krankenhaus deplatziert

Werden ältere Patienten in öffentlichen Akut-Krankenhäusern mit Würde und Respekt behandelt? Nur bedingt, sagen der Medizinsoziologe Michael Calnan von der University of Kent und der Geriatriker Win Tadd an der Cardiff University. Im Rahmen ihres umfassenden, 256-seitigen Forschungsberichts Würde in der Praxis stellen die Autoren fest, dass der Mangel an würdevoller Pflege eine der Hauptquellen für Patientenbeschwerden ist.

Die Studie untersucht die Erfahrungen älterer Menschen mit ihren Betreuern und den Verhaltensweisen und Praktiken der Pflegeanbieter. Dabei wurde die Praxis auf 16 Stationen in vier britischen Akut-Spitälern analysiert sowie Patienten, Familien, Personal und Führungskräfte interviewt. Laut Studienautoren wollte die Mehrheit der betroffenen Mitarbeiter zwar älteren Menschen eine würdevolle Pflege bieten, die Versorgung wich in der Praxis allerdings davon ab.

Zum einen lag dies an strukturellen Problemen: Die 16 Stationen waren räumlich schlecht konzipiert und konnten den Bedürfnissen ihrer wichtigsten Nutzer, den älteren Menschen, nicht genügend entsprechen. Viele fühlten sich bei der Aufnahme ins Krankenhaus desorientiert: Die physische Umgebung wurde häufig als verwirrend und unüberschaubar empfunden. Es gab kaum Gemeinschaftsräume oder gemeinsame, strukturierende Aktivitäten. Etliche ältere Menschen klagten darüber, dass sie sich auf der Station entmachtet, ohne Mitspracherecht sowie unnütz und gelangweilt fühlten.

Die Mehrheit der älteren Befragten äußerte sich besorgt darüber, dass die Mitarbeiter in Bezug auf ihre Kenntnisse und Fähigkeiten schlecht ausgerüstet waren, um sich um ältere Menschen zu kümmern, insbesondere, wenn eine akute Erkrankung vorlag, die durch physische und psychische Komorbidität noch verschärft wurde.

Die Untersuchung zeigte auch, dass NHS-Mitarbeiter zwar motiviert seien, die Interessen der Patienten zu vertreten, allerdings wurden sie häufig durch systemische und organisatorische Faktoren frustriert. Häufig kamen sie so zum Schluss, dass die ältere Person in einem Akut-Krankenhaus eben am "falschen Ort" sei. Die Arbeitsbelastung auf den beobachteten Stationen zeigte, dass es für den zwischenmenschlichen Kontakt mit dem Patienten wenig Zeit und Gelegenheit gab.

In ihren Schlussfolgerungen zeigen die Autoren ausführlich, dass die Achtung vor der Würde jeden im Spital Tätigen angeht – vom ärztlichen Direktor bis zum Raumpfleger, dass es klare Maßnahmen zur Umsetzung geben muss und dass man sich nicht auf den Kostenfaktor ausreden sollte. Klagen der Patienten seien teurer als würdevolle Pflege.

Quelle: Imabe-Newsletter Juli 2011

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Studie: Multiple Sklerose ist kein Risiko bei Schwangerschaft

Weder Gefahr von negativen Folgen für Mütter noch für Babys

Schwangere mit Multipler Sklerose brauchen sich einer kanadischen Studie zufolge in der Regel keine Sorgen über negative Auswirkungen der Erkrankung auf sich oder ihren Nachwuchs machen. “Unsere Ergebnisse zeigen, dass MS zu keinen Problemen bei der Schwangerschaft oder bei der Geburt führt, und das sollte an MS erkrankte Frauen, die eine Familie gründen wollen, ermutigen”, sagt Helen Tremlett von der University of British Columbia in Vancouver und Co-Autorin der im Fachjournal Annals of Neurology (2011 DOI: 10.1002/ana.22483) veröffentlichten Studie über MS-Patientinnen und Mutterschaft.

MS ist eine chronisch entzündliche neurologische Erkrankung und die häufigste Ursache für nicht-traumatische neurologische Behinderungen bei jungen Erwachsenen in der westlichen Welt. Fast 75% der MS-Patienten sind Frauen, die Krankheit bricht oft zwischen dem 20. und 40. Lebensjahr aus, einer Zeit, in der viele an die Gründung einer Familie denken. Während früher aufgrund ungünstiger Einzelbeobachtungen Frauen mit MS fast ausschließlich von einer Schwangerschaft abgeraten und sogar Empfehlungen zum Schwangerschaftsabbruch geäußert wurden, hat sich diese Einstellung inzwischen völlig geändert – mit gutem Grund, wie Studien belegen.

Das MS-Forscherteam unter der Leitung von Mia van der Kop an der kanadischen University of British Columbia and Vancouver Coastal Health Research Institute analysierte nun Daten von insgesamt rund 3.400 Geburten aus den Jahren 1998 bis 2009, die aus der British Columbia-MS-Kliniken-Datenbank und der BC Perinatal-Datenbank Registry stammten. Dabei wurden 432 Geburten bei Frauen mit MS verglichen mit jenen von 2975 Frauen ohne MS, wobei Schwangerschaftsdauer, Geburtsgewicht, Art der Geburt (vaginal versus Kaiserschnitt), Alter bei MS-Beginn, Dauer der Erkrankung sowie Grad der Behinderung verglichen wurden.

Die Ergebnisse zeigten, dass es keine Unterschiede für Babys von MS-Müttern gab, weder in Hinblick auf den Geburtstermin noch auf das Geburtsgewicht im Vergleich zu Babys gesunder Mütter. Auch die Variante vaginale Geburt oder Kaiserschnitt war statistisch nicht signifikant höher, ebenso wenig das Risiko einer Missbildung. Wohl aber sei ein erhöhtes Komplikationsrisiko während der Schwangerschaft und Geburt aufgrund von Übergewichtigkeit festzustellen – bei Frauen mit MS ein häufiger Faktor. Die Wissenschaftler schließen, dass diesen Frauen möglicherweise empfohlen werden sollte, ihr Gewicht in Hinblick auf eine mögliche Schwangerschaft zu optimieren - ein Zusammenhang, der laut van der Kop in weiteren Studien untersucht werden sollte.

Quelle: Imabe-Newsletter Juli 2011

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Präimplantationsdiagnostik: Soll Österreich hinter Deutschland nachziehen?

Scharfe Kritik von stv. Imabe-Geschäftsführerin in „Die Presse“

Der Deutsche Bundestag hat am 7. Juli 2011 mit 326 Stimmen den Gencheck an künstlich erzeugten Embryonen vor der Einpflanzung in den Mutterleib erlaubt. Zuvor hatten 228 für ein Verbot der PID gestimmt, ohne die erforderliche Mehrheit zu erlangen.

Die Methode ist umstritten, weil bei der PID im Reagenzglas erzeugte Embryonen außerhalb des Mutterleibes auf genetische Fehler untersucht und geschädigte Embryonen vernichtet werden.

PID ist in Deutschland nun für Paare erlaubt, „in denen ein oder beide Elternteile die Veranlagung für eine schwerwiegende Erbkrankheit in sich tragen oder mit einer Tot- oder Fehlgeburt zu rechnen ist“. Voraussetzung für den Embryonentest ist die Zustimmung einer Ethikkommission in jedem Einzelfall sowie eine Beratung der Paare. Die Befürworter der PID verwiesen auf das Leid erblich vorbelasteter Eltern mit Kinderwunsch und nahmen für sich eine "Ethik des Heilens" in Anspruch.

In Österreich ist die PID verboten. Es werde aber bereits an einer Gesetzesnovellierung gearbeitet, sagte PID-Befürworter Ludwig Wildt, Direktor der Innsbrucker Universitätsklinik für Gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin, Department Frauenheilkunde gegenüber der Tiroler Tageszeitung (online 7.7.2011). Er gehört der vom Ministerium eingesetzten Kommission an. „Es soll ein Katalog erstellt werden, auf welche Erkrankungen genau untersucht werden darf.“ Noch bestünde aber kein Konsens darüber, welche aufgenommen werden sollen.

Genau diese Art der Vorgangsweise kritisiert die Wiener Zeitung (online 7.7.2011) scharf: Es sei zu befürchten, dass die Diskussion über eine mögliche Freigabe der PID in Österreich im Gegensatz zur vorbildlichen jahrelangen Debatte in Deutschland nur „hinter verschlossenen Türen“ stattfinde. Und wenn „die Sache ins Parlament kommt, wird schon vorher klar sein, wie die Abstimmung ausgeht.“

Scharfe Kritik an der Propagierung der PID übte die stv. IMABE-Geschäftsführerin Susanne Kummer. „Menschen fallen hier einem abstrakten Gesundheitsideal zum Opfer: Nicht Krankheiten werden eliminiert, sondern die Kranken.“, so Kummer in einem Gastkommentar in Die Presse (online, 6.7.2011). Das Beispiel Großbritanniens zeige, dass die begrenzte Einzelfalllösung, wie sie nun auch in Deutschland beschlossen wurde, einer Gesellschaft bald nicht mehr genügt, sobald Begehrlichkeiten nach einem "gesunden Null-Fehler-Baby" geweckt wurden. Seit 2006 könne die PID dort legal bei drohender Vererbung bestimmter Krankheiten genutzt werden; es gebe mehr als 160 Indikationen. Inzwischen genüge allerdings schon das bloße Vorhandensein eines sogenannten Risiko-Gens (etwa des Brustkrebsgens BRCA1), um Embryonen im Zuge der PID auszusortieren - selbst wenn bekannt sei, dass die Krankheit weder zwingend ausbricht noch allein auf dieses Risiko-Gen rückführbar ist.

Ein anderes Argument, wonach die PID ohnehin nur nicht lebensfähige Embryonen aussortieren würde bzw. die IVF-Erfolgsrate steigern könnte, sei laut Studien selbst unter Reproduktionsmedizinern umstritten: Das praktische Problem der PID sei ihre schwache Aussagekraft in Bezug auf Chromosomenanomalien. Genmaterial, das aus zwei verschiedenen Blastomeren entnommen wird, kann zwei komplett verschiedene Ergebnisse liefern: "Wird es nun ein gesundes oder ein krankes Kind?"

Zudem sei jede Antwort auf die Frage, ob durch die Einführung der PID die Zahl der Spätabtreibungen gesenkt werden könnte, nur spekulativ. Sicher sei hingegen, dass die Bandbreite von "Normalität", die künftig noch toleriert werden wird, durch die Möglichkeiten der PID deutlich schmaler werden würde. Kummer: "Die Entscheidung wird im Zweifel jedenfalls gegen das Leben des potenziell kranken Embryos ausfallen.“

Quelle: Imabe-Newsletter Juli 2011

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Mittwoch, 6. Juli 2011

„Reines Selektionswerkzeug“

05.07.2011 | 18:24 | SUSANNE KUMMER (Die Presse)

Gastkommentar. Eine Replik auf den Gastkommentar von Kurt Grünewald zur Präimplantationsdiagnostik: Die Substanz der Pro-Argumente ist dünn.

Sollen der Gencheck bei Embryonen und die Selektion im Reagenzglas, die sogenannte Präimplantationsdiagnostik (PID), in Österreich künftig gesetzlich erlaubt sein? Ich gebe Kurt Grünewald recht, wenn er sich gegen überzogene Horrorvorstellungen von „Designerbabys“ wehrt. Allerdings fehlt in seinem Kommentar („Weder Kinder noch Ethik“, „Presse“ vom 29.6.) eine nüchterne Analyse der Sachlage, was verwundert, da Grünewald selbst Arzt ist.

Je näher man auf die einzelnen Pro-Argumente eingeht, desto dünner wird ihre Substanz. Dazu gehört zunächst die praktische Undurchführbarkeit eines Indikationsmodells, wie es die Grünen in ihrem parlamentarischen Entschließungsantrag vom 18. Mai 2011 vorschlagen. Welche Watchlist von Krankheiten soll denn rechtens vom wem erstellt werden, aufgrund derer dann Embryonen ausgesondert und vernichtet werden dürfen?

Deutschland hat von vorneherein auf so eine Liste verzichtet; das Beispiel Großbritannien zeigt, dass die begrenzte Einzelfalllösung einer Gesellschaft bald nicht mehr genügt, sobald Begehrlichkeiten nach einem „gesunden Null-Fehler-Baby“ geweckt wurden. Seit 2006 kann die PID dort legal bei drohender Vererbung bestimmter Krankheiten genutzt werden, es gibt mehr als 160Indikationen. Inzwischen genügt schon das bloße Vorhandensein eines sogenannten Risikogens (etwa des Brustkrebsgens BRCA1), um Embryonen im Zuge der PID auszusortieren – selbst wenn bekannt ist, dass die Krankheit weder zwingend ausbrechen wird noch allein auf dieses Risikogen rückführbar ist.

Problem Chromosomenanomalie

Ein anderes Argument, wonach die PID ohnehin nur nicht lebensfähige Embryonen aussortieren würde bzw. die IVF-Erfolgsrate steigern könnte, scheint laut Studien selbst unter Reproduktionsmedizinern umstritten. Das praktische Problem der PID ist ihre schwache Aussagekraft in Bezug auf Chromosomenanomalien.

Nicht selten werden diese nach dem 8-Zell-Stadium dank biologischer Mechanismen unter Kontrolle gebracht. Daher kann es zu Fehldiagnosen kommen: Zellen, die aus zwei verschiedenen Blastomeren entnommen werden, können zwei komplett verschiedene Ergebnisse liefern. Wird es nun ein gesundes oder ein krankes Kind?

Ob durch die Einführung der PID die Zahl der Spätabtreibungen gesenkt werden könnte, ist mehr als spekulativ, meint der Medizinethiker Axel W. Bauer, Mitglied im Deutschen Ethikrat. Sicher ist jedoch, dass die Bandbreite von „Normalität“, die künftig noch toleriert werden wird, durch die Möglichkeiten der PID deutlich schmaler werden wird.

Die Entscheidung wird im Zweifel jedenfalls gegen das Leben des potenziell kranken Embryos ausfallen. Womit das gesellschaftspolitische Dilemma einer – wenn auch begrenzten – Freigabe der PID deutlich wird: Anders als die Pränatale Diagnostik (PND), die – ungeachtet ihres Missbrauchs in der medizinischen Praxis – auch wichtige Erkenntnisse für eine der Gesundheit des Ungeborenen dienenden Geburtsvorbereitung oder Therapien dienen kann, ist die PID ein „reines Selektionswerkzeug“.

Menschen fallen hier einem abstrakten Gesundheitsideal zum Opfer: Nicht Krankheiten werden eliminiert, sondern die Kranken. Das aber sollte uns als aufgeklärte Gesellschaft, deren wohl höchste Errungenschaft die Menschenrechte sind, eigentlich wachrütteln.

Mag. Susanne Kummer ist stv. Geschäftsführerin von Imabe – Institut für medizinische Anthropologie und Bioethik in Wien.

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