Schadenersatzrecht: Die vielen Gesichter der Pränataldiagnose
Es ist zu begrüßen, dass ein neuer Gesetzesentwurf der Justizministerin einen menschenverachtenden Zynismus ausmerzen will.
Die Frage, ob der Unterhalt für ein unerwünschtes Kind überhaupt ein ersatzfähiger Schaden sein kann, wird in der juristischen Lehre offensichtlich sehr kontrovers beurteilt, wie auch jüngste Stellungnahmen im Rechtspanorama in der „Presse“ verdeutlichten.
Allgemein anerkannt wird, dass die derzeitige Praxis der Rechtsprechung unbefriedigend ist, weil sie eine Ungleichbehandlung von behinderten und gesunden Kindern beinhaltet. Während nämlich für den OGH die Geburt eines gesunden – wenn auch unerwünschten – Kindes unter keinen Umständen Ursache für einen ersatzfähigen Schaden darstellt, kann ein behindertes Kind zum Schadensfall werden, wenn die Behinderung vom Arzt nicht entdeckt wurde und die Mutter nun im Nachhinein behauptet, sie hätte das Kind abgetrieben, falls sie von der Behinderung rechtzeitig erfahren hätte.
Der OGH hat zwar verschiedentlich erklärt, dass seine Urteile keine Diskriminierung Behinderter enthalten. Das ändert aber nach Meinung namhafter Juristen nichts daran, dass die OGH-Argumentation nicht stichhaltig und der Vorwurf der Geringwertung des Lebens Behinderter nicht wegzudiskutieren seien.
Für viele ist daher der derzeitige Stand der Rechtsprechung höchst unbefriedigend.
Tendenz zur Defensivmedizin
Die Judikatur des OGH hat auch zu einer großen Unsicherheit innerhalb der Ärzteschaft geführt und Tendenzen zu einer Defensiv- und Absicherungsmedizin ausgelöst. Tatsächlich ist die Medizin nicht eine so exakte Wissenschaft, wie sich das manche Leute wünschen würden, sondern es gibt neben den eindeutigen Diagnosen auch viele Verdachtsfälle, die in einer Grauzone liegen. Durch die jetzige Rechtsprechung besteht die Gefahr, dass Ärzte aus Selbstschutz möglicherweise einen Beratungsstil entfalten, der im Zweifel für die Abtreibung und nicht gegen die Abtreibung gerichtet ist.
Aus all diesen Gründen wurde der Vorstoß von Ministerin Claudia Bandion-Ortner von vielen Seiten, insbesondere auch von der Österreichischen Ärztekammer, positiv aufgenommen, wenngleich zuzugeben ist, dass das taktische Vorgehen der Frau Minister zu wünschen übrig lässt.
Juristische Unsicherheiten
Aus der Perspektive des Arztes scheint diese Festlegung recht und billig. Denn kein Arzt wurde je in anderen Fällen aufgrund einer Fehldiagnose verurteilt, wenn daraus kein Schaden erwachsen ist, und schon gar nicht, wenn dadurch möglicherweise sogar ein Leben gerettet wurde.
Höchst bedauerlich ist freilich das Statement des Gynäkologen Peter Husslein, Vorstand der Universitätsklinik für Frauenheilkunde in Wien, es würden in dem Augenblick, wo diese Gesetzesänderung erfolgt, die Unerfahrensten in die Ultraschallambulanz gestellt werden, die dann, weil keine Schadenshaftung droht, einen Ultraschallapplikator schlampig auf den Bauch der Frau halten, um festzustellen, dass ohnehin alles in Ordnung ist.
Gott sei Dank dürfte es nur sehr wenige Gynäkologen geben, die die Qualität ihres ärztlichen Handelns ausschließlich an der drohenden Schadenshaftung ausrichten. Abgesehen davon geht diese Argumentation auch insofern ins Leere, weil, wie gesagt, der Arzt für die korrekte Diagnose behandelbarer Fehlbildungen in der Pränataldiagnostik nach wie vor haftbar ist. Gerade um solche Fälle zu entdecken, ist aber eine gewissenhafte und hoch qualifizierte Pränataldiagnostik nach wie vor unabdingbar.
Das eigentliche Ärgernis der derzeitigen Gerichtspraxis ist aber das furchtbare Schicksal des behinderten Kindes, das offenkundig gegen den Willen der Eltern einer Abtreibung entkommen ist. Die verheerenden psychologischen Auswirkungen für ein solches Kind sind geradezu unvorstellbar und können wohl niemals mit Geld aufgewogen werden.
Eine Bankrotterklärung
Es ist daher sehr begrüßenswert, dass dieser Makel durch einen neuen Gesetzesentwurf ausgemerzt werden soll und dass er auch die Forderung nach einer Verbesserung der sozialrechtlichen Absicherung aller Familien, die solche außerordentlichen Lasten treffen, enthält.
Solche Maßnahmen, die dringend erforderlich sind, werden wohl nur dann durchsetzbar sein, wenn zuvor feststeht, dass man eine Mutter, die ihr behindertes Kind freiwillig zur Welt bringt, nicht im Regen stehen lassen kann, indem man ihr vorwirft, sie habe einen Schaden verursacht, den sie durch eine Abtreibung besser hätte verhindern sollen.
Quelle: Die Presse, 22. Februar 2011
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