Dienstag, 22. Februar 2011

Schadenersatzrecht: Die vielen Gesichter der Pränataldiagnose

Es ist zu begrüßen, dass ein neuer Gesetzesentwurf der Justizministerin einen menschenverachtenden Zynismus ausmerzen will.

Die Frage, ob der Unterhalt für ein unerwünschtes Kind überhaupt ein ersatzfähiger Schaden sein kann, wird in der juristischen Lehre offensichtlich sehr kontrovers beurteilt, wie auch jüngste Stellungnahmen im Rechtspanorama in der „Presse“ verdeutlichten.

Allgemein anerkannt wird, dass die derzeitige Praxis der Rechtsprechung unbefriedigend ist, weil sie eine Ungleichbehandlung von behinderten und gesunden Kindern beinhaltet. Während nämlich für den OGH die Geburt eines gesunden – wenn auch unerwünschten – Kindes unter keinen Umständen Ursache für einen ersatzfähigen Schaden darstellt, kann ein behindertes Kind zum Schadensfall werden, wenn die Behinderung vom Arzt nicht entdeckt wurde und die Mutter nun im Nachhinein behauptet, sie hätte das Kind abgetrieben, falls sie von der Behinderung rechtzeitig erfahren hätte.

Der OGH hat zwar verschiedentlich erklärt, dass seine Urteile keine Diskriminierung Behinderter enthalten. Das ändert aber nach Meinung namhafter Juristen nichts daran, dass die OGH-Argumentation nicht stichhaltig und der Vorwurf der Geringwertung des Lebens Behinderter nicht wegzudiskutieren seien.

Für viele ist daher der derzeitige Stand der Rechtsprechung höchst unbefriedigend.

Tendenz zur Defensivmedizin

Die Judikatur des OGH hat auch zu einer großen Unsicherheit innerhalb der Ärzteschaft geführt und Tendenzen zu einer Defensiv- und Absicherungsmedizin ausgelöst. Tatsächlich ist die Medizin nicht eine so exakte Wissenschaft, wie sich das manche Leute wünschen würden, sondern es gibt neben den eindeutigen Diagnosen auch viele Verdachtsfälle, die in einer Grauzone liegen. Durch die jetzige Rechtsprechung besteht die Gefahr, dass Ärzte aus Selbstschutz möglicherweise einen Beratungsstil entfalten, der im Zweifel für die Abtreibung und nicht gegen die Abtreibung gerichtet ist.

Aus all diesen Gründen wurde der Vorstoß von Ministerin Claudia Bandion-Ortner von vielen Seiten, insbesondere auch von der Österreichischen Ärztekammer, positiv aufgenommen, wenngleich zuzugeben ist, dass das taktische Vorgehen der Frau Minister zu wünschen übrig lässt.

Juristische Unsicherheiten

Die Justizministerin wies wiederholt darauf hin, dass auch im neuen Gesetzesentwurf ein Arzt, der schuldhaft einen Schaden verursacht und etwa eine behandelbare Fehlbildung übersieht, selbstverständlich auch weiterhin schadenersatzpflichtig bleibt. Nur wenn eine Behinderung allein durch eine Abtreibung „abgewendet“ hätte werden können, soll nach dem neuen Gesetzesentwurf ein Ersatzanspruch ausgeschlossen werden, weil die Existenz eines behinderten Menschen kein Schadensfall sein kann. Damit wären die bisherigen juristischen Unsicherheiten und Widersprüchlichkeiten aus dem Weg geräumt.

Aus der Perspektive des Arztes scheint diese Festlegung recht und billig. Denn kein Arzt wurde je in anderen Fällen aufgrund einer Fehldiagnose verurteilt, wenn daraus kein Schaden erwachsen ist, und schon gar nicht, wenn dadurch möglicherweise sogar ein Leben gerettet wurde.

Höchst bedauerlich ist freilich das Statement des Gynäkologen Peter Husslein, Vorstand der Universitätsklinik für Frauenheilkunde in Wien, es würden in dem Augenblick, wo diese Gesetzesänderung erfolgt, die Unerfahrensten in die Ultraschallambulanz gestellt werden, die dann, weil keine Schadenshaftung droht, einen Ultraschallapplikator schlampig auf den Bauch der Frau halten, um festzustellen, dass ohnehin alles in Ordnung ist.

Gott sei Dank dürfte es nur sehr wenige Gynäkologen geben, die die Qualität ihres ärztlichen Handelns ausschließlich an der drohenden Schadenshaftung ausrichten. Abgesehen davon geht diese Argumentation auch insofern ins Leere, weil, wie gesagt, der Arzt für die korrekte Diagnose behandelbarer Fehlbildungen in der Pränataldiagnostik nach wie vor haftbar ist. Gerade um solche Fälle zu entdecken, ist aber eine gewissenhafte und hoch qualifizierte Pränataldiagnostik nach wie vor unabdingbar.

Das eigentliche Ärgernis der derzeitigen Gerichtspraxis ist aber das furchtbare Schicksal des behinderten Kindes, das offenkundig gegen den Willen der Eltern einer Abtreibung entkommen ist. Die verheerenden psychologischen Auswirkungen für ein solches Kind sind geradezu unvorstellbar und können wohl niemals mit Geld aufgewogen werden.

Eine Bankrotterklärung

Die Rechtsprechung, die diesen menschenverachtenden Zynismus auch noch durch einen lebenslangen Schadenersatz belohnt, während Eltern, die ihr behindertes Kind vorbehaltlos annehmen, leer ausgehen, ist juristisch und ethisch eine Bankrotterklärung. Dies sei auch der Ethikkommission des Bundeskanzleramtes ins Stammbuch geschrieben!

Es ist daher sehr begrüßenswert, dass dieser Makel durch einen neuen Gesetzesentwurf ausgemerzt werden soll und dass er auch die Forderung nach einer Verbesserung der sozialrechtlichen Absicherung aller Familien, die solche außerordentlichen Lasten treffen, enthält.

Solche Maßnahmen, die dringend erforderlich sind, werden wohl nur dann durchsetzbar sein, wenn zuvor feststeht, dass man eine Mutter, die ihr behindertes Kind freiwillig zur Welt bringt, nicht im Regen stehen lassen kann, indem man ihr vorwirft, sie habe einen Schaden verursacht, den sie durch eine Abtreibung besser hätte verhindern sollen.

Quelle: Die Presse, 22. Februar 2011

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Montag, 21. Februar 2011

Kindesunterhalt als Schadensfall?

"Kinder als Schaden"? - Natürlich nicht, sagen Verteidiger des Status quo in der Debatte um die Reform der Haftpflicht für Pränatalmediziner

Es gehe nur um die Unterhaltskosten. Aber kann man das eine vom anderen wirklich trennen?

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In der seit dem aktuellen Gesetzesvorstoß der Justizministerin Claudia Bandion-Ortner wieder intensiv geführten öffentlichen Diskussion um das Thema "Kind als Schaden" sind bereits viele Argumente ausgetauscht worden (die hier nicht wiederholt werden sollen). Interessanterweise scheint dabei der Grundfrage, ob ein Kindesunterhalt überhaupt als Schaden im rechtlichen Sinne begriffen werden kann, wenig Aufmerksamkeit zuzukommen.

Wer diese Frage bejaht, hat den weitgefassten Wortlaut des § 1293 Satz 1 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB) aus dem Jahre 1811 für sich: "Schaden heißt jeder Nachteil, welcher jemandem an Vermögen, Rechten oder seiner Person zugefüget worden ist." Es ist allgemein anerkannt, dass darunter auch durch rechtswidrige Schädigungshandlungen verursachte Vermögensbelastungen zu verstehen sind, z. B. von den Eltern getragene Heilungs- und Betreuungskosten für ihr verletztes Kind - warum also in bestimmten Fällen nicht die gesamten elterlichen Unterhaltskosten?

Wer diese Frage verneint, muss etwas weiter ausholen. Der Verfassungsgerichtshof hat in einer Entscheidung aus dem Jahre 1993 auf Basis der Menschenwürde festgestellt, dass "kein Mensch jemals als bloßes Mittel für welche Zwecke immer betrachtet und behandelt werden darf". Dies bedeutet, dass unsere Rechtsordnung den positiven Eigenwert (der Existenz) jedes Menschen anerkennt.

Dieser grundlegenden Weichenstellung unserer Rechtsordnung widerspräche es, aus untergeordneten Einzelregelungen - etwa dem Schadenersatzrecht - eine negative Bewertung der Existenz eines bestimmten Menschen abzuleiten. Manche versuchen daher für rechtliche Belange, die Existenz des Kindes von seinen Unterhaltsansprüchen zu "trennen", um bei der Bejahung des Schadenersatzes für den Kindesunterhalt nicht bei einer Negativbewertung der kindlichen Existenz selbst zu enden.

Ein Senat des Obersten Gerichtshofs verweist zur Untermauerung seiner "Trennungsthese" etwa darauf, dass nicht nur die Geburt eines Menschen, sondern auch sein Tod Schadenersatzansprüche nach sich ziehen könne (z. B. wenn der Mörder für die unterhaltsberechtigten Hinterbliebenen seines Opfers den Unterhalt zahlen muss). Beim Tod werde dies nicht als problematisch angesehen, daher müsse man auch aus der Geburt resultierende Schadenersatzansprüche akzeptieren.

Diese Argumentation beweist freilich exakt das Gegenteil von dem, was der Gerichtshof zu belegen versucht. Die Bestimmungen, welche die rechtswidrige Tötung oder Verletzung eines Menschen mit haftungsrechtlichen Konsequenzen belegen, implizieren nämlich - im Einklang mit der Menschenwürde - eine für die Existenz und Integrität eines Menschen positive Bewertung. Das rechtmäßige, die Schadenersatzpflicht abwendende Alternativverhalten besteht in der Achtung der Integrität des anderen. Der Gewalttäter muss sich demgemäß sagen: Hätte ich bloß das Leben bzw. die Integrität des anderen respektiert, die Haftpflicht wäre mir erspart geblieben.

Das Gegenteil trifft in den "Kind als Schaden"-Fällen zu. Hier muss sich z.B. der schadenersatzpflich-tige Pränataldiagnostiker sagen: Hätte ich bloß den (damals noch ungeborenen) Behinderten rechtzeitig zur Abtreibung selektiert, so existierte der Behinderte nun nicht, und ich wäre nicht mit Schadenersatzforderungen für seinen Unterhalt konfrontiert. Das bei einer solchen Betrachtung "rechtmäßige", die Haftpflicht abwendende Alternativverhalten besteht in einer maßgeblichen Mitwirkung an der "Vermeidung" der kindlichen Existenz. Die schadenersatzrechtliche Negativbewertung der kindlichen Existenz - im Widerspruch zur Menschenwürde - ist dabei eine denknotwendige Implikation.

Auch der renommierte Zivilrechtslehrer Helmut Koziol versuchte schon vor längerer Zeit, in seinem Standardwerk über das Österreichische Haftpflichtrecht die "Trennungstheorie" zu begründen: Kaufe ein Vertreter gegen den Willen des Vertretenen ein Luxusfahrzeug, liege der Schaden des Vertretenen in der Verpflichtung, den Kaufpreis für das unerwünschte Auto zu zahlen. Eine Negativbewertung des Fahrzeugs "an sich" sei damit nicht verbunden. Diese Überlegung könne man auch auf das Verhältnis Eltern/Kind übertragen.

Nun mag es schon sein, dass der Vertretene keine "grundsätzliche" Abneigung gegen Luxusautos hegt oder eigentlich sogar ein Liebhaber solcher Fahrzeuge ist; das konkrete, vom Vertreter unzulässigerweise beschaffte lehnt er aber wegen der damit verbundenen finanziellen Belastungen eben doch ab. Auf familiäre Beziehungen umgemünzt: Was nützt es dem (behinderten) Kind, wenn seine Eltern im allgemeinen "Menschenfreunde" sind, die Unterhaltspflicht für ihr ganz konkret vor ihnen stehendes Kind aber als Schaden betrachten und damit ablehnen? Die Unterhaltspflicht hätte nur bei "Vermeidung" seiner Existenz abgewendet werden können. Die rechtliche Negativbewertung der Unterhaltspflicht schlägt also wiederum auf die Kindesexistenz selbst durch und widerspricht daher der Menschenwürde.

Fazit: Selbst die namhaftesten Vertreter der These, man könne Existenz und Unterhalt eines Kindes zumindest für juristische Zwecke "fein säuberlich" trennen, zeigen in ihren konkreten Argumenten wohl selbst für den juristischen Laien klar erkennbare Schwächen. Dies liegt in der Natur ihres vergeblichen Versuchs, gegen Evidenzen zu argumentieren. Contra factum non valet argumentum.

Dass der aktuelle Entwurf des Justizministeriums - im Gefolge der ersten einschlägigen Gesetzesinitiative der FPÖ aus 2006 - dieser Erkenntnis entspricht, ist mehr als erfreulich.

Quelle: Der Standard vom 9. Februar 2011

Thomas Piskernigg, Jurist in Wien, ist Prüfbeamter der Österreichischen Volksanwaltschaft und freier Mitarbeiter des Instituts für medizinische Anthropologie und Bioethik (IMABE). Der Kommentar gibt die persönliche Meinung des Autors wieder.

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Lebensglück vom Doktor: Medizin im Grenzbereich

Heilen ist nicht mehr genug. Ärzte sollen für Lebensglück sorgen - und wenn das Wunschbaby von einer indischen Leihmutter ausgetragen wird, verdient sogar noch eine arme Frau daran. Was zu viel ist, ist zu viel.

Was ist Aufgabe des Arztes? Angesichts der aktuellen Debatte stellt sich diese Frage mit neuer Schärfe. Einer langen Tradition entsprechend soll der Arzt vor allem dies: Kranke heilen, Schmerzen lindern und trösten - nach bestem Wissen und Gewissen. Ein Glück, dass sich tausende Kollegen noch diesem ärztlichen Ethos verpflichtet wissen. In einer Gesellschaft, in der Gesundheit, Leistung und Selbstbestimmung als höchste Güter gelten, denen alles zu opfern man verpflichtet ist, bläst der Wind dem ärztlichen Ethos allerdings inzwischen ziemlich kalt entgegen - aus verschiedensten Richtungen.

Ärzte sind verführbarer geworden, sie sind nicht mehr nur für Krankheiten zuständig, sondern für das gesamte Lebensglück der Patienten. Deren Wünsche sind gemäß der Logik einer nach Angebot und Nachfrage organisierten Heilsindustrie zu erfüllen. Ärzte mutieren dadurch zu Lebensstil-Beratern und Dienstleistern - und profitieren ökonomisch von ihren "Kunden". Verkauft wird dies unter dem Motto: Hilf den Armen! Solange "Reiche" dafür bezahlen, kennt der neue Robin Hood-Mediziner kaum Grenzen.

Aktuelle Beispiele? Da baut ein Däne die weltweit größte "Samenbank" auf, wo Spermien nach Maß aus einem Computerkatalog weltweit verschickt werden und kinderlose Paare oder Singles ihr Wunschbaby designen können - natürlich nur unter Mithilfe von Ärzten und alles ganz legal.

Günstige indische Leihmütter sind für Kunden aus Europa oder den USA attraktiv: In Indien kostet ein von einer Leihmutter ausgetragenes (gesundes!) Kind zwischen 2500 und 6500 Dollar - ein Kind um einen Schnäppchenpreis sozusagen. Die modernen Robin Hood-Mediziner helfen dadurch armen Frauen - die viele Jahre arbeiten müssten, um diesen Geldbetrag zu verdienen. Was aber, wenn das bestellte Produkt "fehlerhaft" ist? Den indischen Leihmüttern wird ein solches Kind von den Kunden nicht abgenommen, in Großbritannien entscheiden die Eltern, die die Leihmutterschaft bezahlt haben, was mit dem behinderten Kind zu geschehen hat, Ärzte erledigen dann den Rest. Wie selbstbestimmt diese Entscheidung ist, bleibt fraglich in einer Gesellschaft, in der Gesundheit wie alles als machbar gilt, als herstellbares Produkt, in der es kein "Schicksal", sondern nur noch ein "Machsal" gibt (O. Marquard).

Zur Spitze getrieben wird die Robin-Hood-Medizin dort, wie etwa im jüngsten Bericht über den Organhandel im Kosovo, wo von "freiwilligen" Armen Organe entnommen und dem sehr gut zahlenden, meist aus dem Ausland anreisenden schwer Kranken transplantiert werden - natürlich von Ärzten, die oft aus Ländern kommen, in denen es kein Transplantationsgesetz gibt, aber auch kein Gesetz, das den Organhandel verbietet. - Also ist es dann rechtens, dies zu tun, weil man doch beiden hilft: den Armen - und vor allem dem Kranken?

War es vor langer Zeit in einer Diktatur ethisch in Ordnung, als Behinderte von Ärzten beseitigt wurden? Nur weil es legal war und man damit einer armen Gesellschaft, die sich keine Behinderten leisten wollte, "diente", nicht aber dem Behinderten selbst? Interessant, wie uns in den Hauptnachrichten schneebedeckte 220 Gräber von Euthanasie-Opfern im Tiroler Hall, untermalt von eugenischen NS-Propaganda-Filmen in Schwarz-Weiß, gezeigt werden und anschließend in einem Beitrag über die aktuelle Diskussion über die Kind-als-Schaden-Judikatur ein schwerstbehindertes Kind und dessen leidende Mutter vorgeführt wird. Die Macht der Bilder - sie wirkt immer noch.

Was ist also tatsächlich die Aufgabe des Arztes? Treffend formuliert hat dies einst der berühmte deutsche Arzt Christoph Wilhelm Hufeland, Leibarzt der Königin Luise von Preußen, ein Mann, der ganz dem Geist der Aufklärung verpflichtet war. Im Jahr 1806 hielt er im Journal der praktischen Arzneikunde und Wundarzneikunst fest: "Der Arzt soll und darf nichts anderes tun, als Leben erhalten - ob es ein Glück oder ein Unglück sei, ob es Wert habe oder nicht, das geht ihn nichts an. Und maßt er sich einmal an, diese Rücksicht in sein Geschäft aufzunehmen, so sind die Folgen unabsehbar und der Arzt wird der gefährlichste Mensch im Staate."

Der Hippokratische Eid fasst das ärztliche Berufsethos zusammen: der unantastbare Wert und die Würde jedes Menschen, der absolute Respekt vor dem Leben und der Person, der Schutz des Patienten vor dem Arzt, aber auch des Arztes vor unangemessenen Forderungen seines Patienten.

Es braucht Veränderung, ja - aber wie? Ob die Medizin ihre Identität als professioneller, wissenschaftlich fundierter humanitärer Dienst behalten wird, hängt letztlich davon ab, ob es gelingt, mit Überzeugung diesem lang tradierten ärztlichen Ethos zu folgen - die Bereitschaft dazu muss aber von den Ärzten mit Gewissensbildung selbst ausgehen. Sie müssen selbst Flagge zeigen und ihr Berufsverständnis auch gegen den Mainstream lenken lernen.

Quelle: Der Standard vom 5. Februar 2011

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Montag, 14. Februar 2011

Seminar: Diagnosevermittlung: Wie viel Wahrheit ist Patienten zumutbar?", 8./9. April 2011

Um Ärztinnen und Ärzten mehr Sicherheit in schwierigen Gesprächen mit ihren Patienten zu geben, bietet IMABE-Institut für medizinische Anthropologie und Bioethik in Wien ein spezielles Kommunikationstraining an. Das eineinhalbtägige Seminar ist auf fachlichen Vorträgen, intensiver Fallarbeit anhand realer Beispiele aus der Praxis der Teilnehmer, Diskussion und Kleingruppenarbeit aufgebaut.

Themenschwerpunkte: Einführung in die Psychotraumatologie: Was ist eine Krisensituation?; Gesprächsführung mit Patienten, Gesprächstechniken für Ärzte; Ethik: warum gute Kommunikation authentisch sein muss; Der Arzt zwischen Empathie und Abgrenzung: Erarbeiten von Coping-Strategien

Anmeldeschluss: 1. April 2011, Begrenzte Teilnehmerzahl, 16 approbierte DFP-Punkte. Nähere Infos hier.

Quelle: IMABE-Newsletter Februar 2011

IMABE-Symposium: „Lebensstil und persönliche Verantwortung“, 12./13. Mai 2011 in Wien

Lancet-Studie zeigt: Eine halbe Milliarde Menschen ist weltweit zu dick

Die Fakten sind erschreckend: Die Zahl der übergewichtigen Menschen weltweit hat sich in den vergangenen dreißig Jahren nahezu verdoppelt – und zwar auf eine halbe Milliarde.

Im Jahr 2008 seien geschätzte 205 Millionen Männer und 297 Millionen Frauen auf der Welt zu dick gewesen, heißt es in einer nun in The Lancet (online, 04. 02. 2011) publizierten großangelegten Langzeitstudie zu Fettleibigkeit, Bluthochdruck und Cholesterinwerten.

Wie kann man Menschen dazu bringen, ihren Lebensstil nachhaltig zu verändern und gesünder zu leben? Diese Frage bereitet Medizinern, Soziologen, Gesundheitsökonomen und Politikern seit langem Kopfzerbrechen. Doch in welche Richtung soll es gehen? Aufgrund welcher Prämissen? Heute wird immer klarer, dass das Gesundheitsverhalten nicht nur durch Sachinformationen und Aufklärung beeinflusst wird, sondern vor allem durch das soziale Umfeld. Welche Konsequenzen ergeben sich daraus für die Prävention? Wann soll die Solidargemeinschaft einspringen - und wie viel Verantwortung trägt jeder für sich selbst?

Im Rahmen eines von IMABE in Kooperation mit dem Hauptverband der Österreichischen Sozialversicherungsträger veranstalteten Symposiums mit dem Titel „Lebensstil und persönliche Verantwortung“ zeigen am 12. und 13. Mai namhafte Experten, in welche Richtung sich Medizin, Menschen und gesundheitsökonomische Systeme bewegen müssen, um aus der Falle der vermeidbaren Krankheiten herauszukommen.

Das interdisziplinäre Symposium findet beim Hauptverband der Österreichischen Sozialversicherungsträger (Kundmanngasse 21, A-1030 Wien) statt. Nähere Informationen auf http://www.imabe.org/index.php?id=1392.

Quelle: IMABE-Newsletter Februar 2011

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Euthanasie: Kein Recht auf Suizid, sagt Europäischer Menschengerichtshof

Staat ist nicht zu Selbstmord-Beihilfe verpflichtet

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat abermals in einem Streit um Beihilfe zum Suizid entschieden, dass ein Staat nicht zu Selbstmord-Beihilfe verpflichtet ist (Pressemitteilung zum Urteil Haas vs. Schweiz, online 20. 01. 2011). Die Straßburger Richter wiesen dabei die Klage eines Schweizers ab, der wegen einer psychischen Erkrankung seinem Leben ein Ende setzen wollte. Der 57-jährige Mann, der seit rund 20 Jahren an einer schweren psychischen Krankheit leidet, wollte seinem Leben, das er als nicht mehr würdig empfand, ein Ende setzen. Die Ärzte hätten sich jedoch geweigert, ihm das dafür notwendige rezeptpflichtige Mittel Pentobarbital zu verschreiben. Auch die Behörden und schließlich das Schweizer Bundesgericht wiesen seine Klage zurück. Daraufhin legte er Beschwerde beim EGMR ein und berief sich dabei auf Art. 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention, wonach ihm seines Erachtens das Recht zustünde, über seinen eigenen Tod zu entscheiden. Der Staat oder ein Dritter habe deshalb die Pflicht, ihn beim Selbstmord zu unterstützen, so dass dieser sicher gelinge und schmerzfrei sei.

Der EGMR entschied, dass ein Mensch frei über die Art und den Zeitpunkt seines Todes selbst entscheiden könne. Allerdings gebe es keine „positive Verpflichtung“ eines Staates, eine tödliche Medikamentendosis zur Verfügung zu stellen. In ihrem Urteil betonten die Straßburger Richter, dass die Gefahren eines Systems, in dem die Beihilfe zum Suizid erleichtert würde, nicht unterschätzt werden dürften. Das in der Europäischen Menschenrechtskonvention verankerte Recht auf Leben bedeute für die Staaten auch die Pflicht, Regelungen dafür zu treffen, dass die Entscheidung, das Leben zu beenden, wirklich dem freien Willen des Betroffenen entspreche.

Quelle: IMABE-Newsletter Februar 2011

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Studie: Mehr Geschlechtskrankheiten unter britischen Teenagern seit rezeptfreier „Pille danach“

Mehr Verhütung verringert nicht ungewollte Schwangerschaften

Die rezeptfreie und kostenlose Abgabe der „Pille danach“ in Apotheken wurde von der britischen Regierung mit dem Hinweis propagiert, dadurch die Rate der Teenagerschwangerschaften senken zu können. Zehn Jahre später zeigt eine Studie das Gegenteil: Nicht nur, dass sich die Zahl der Schwangerschaften bei Minderjährigen nicht verringert hat – es kam zugleich zu einem Anstieg der sexuell übertragbaren Erkrankungen (STI), was auf einen zunehmenden Verzicht auf Kondome hinweist, berichten die Autoren im Journal of Health Economics (2011; doi:10.1016/j.jhealeco.2010.12.004).

Damit bestätige sich auch ein Report aus dem Jahr 2007, wonach bislang kein Zusammenhang zwischen dem Zugang zu Verhütungsmitteln und einem nennenswerten Rückgang von unerwünschten Schwangerschaften oder Abtreibungen nachgewiesen werden konnte, berichtet ScienceDaily (online 02. 02. 2011).

Großbritannien hat europaweit die höchste Rate an Teenagerschwangerschaften. Eine Gegenmaßnahme der Regierung bestand in der Teenage Pregnancy Strategy von 1999. Sie sah vor, dass Teenager unter 16 Jahren in der Apotheke gratis ein Notfallkontrazeptivum erhalten. Doch die „Morning after pill“ war kein Erfolg, wie die Ökonomen David Paton und Sourafel Girma von der Universität Nottingham in ihrer Studie zeigen. Für die Autoren ist dies ein klares Indiz dafür, dass vor allem die jungen Teenager noch häufiger als zuvor ein risikoreiches Sexualverhalten eingehen.

Das Gesetz sei gut gemeint gewesen, habe aber das Gegenteil von dem bewirkt, was es eigentlich erreichen wollte. Die Regierung sollte sich deshalb die Frage stellen, ob Gelder aus öffentlicher Hand, die die Gratis-Abgabe der „Pille danach“ finanzieren, nicht effizienter eingesetzt werden sollten, kritisieren die Gesundheitsökonomen.

Quelle: IMABE-Newsletter Februar 2011

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Deutschland: Kirchen stellen neue Christliche Patientenvorsorge vor

Nennung von Vertrauenspersonen als Bevollmächtigte empfohlen
Die christlichen Kirchen in Deutschland haben den Anspruch der Bürger auf ein menschenwürdiges Sterben betont und eine neue Handreichung vorgestellt: die neue Christliche Patientenvorsorge. Das Dokument tritt an die Stelle der bisherigen „Christlichen Patientenverfügung“. „Wir hoffen, damit einen Weg zwischen unzumutbarer Lebensverlängerung und nicht verantwortbarer Lebensverkürzung aufzuzeigen“, heißt es in der Ende Jänner 2011 veröffentlichten, rund 50 Seiten umfassenden Broschüre. Bemerkenswert ist, dass die Christliche Patientenvorsorge gegenüber ihrem Vorgängerdokument nicht nur die eigentliche Patientenverfügung enthält, sondern auch drei weitere Möglichkeiten der selbstbestimmten Vorsorge: die Vorsorgevollmacht, die Betreuungsverfügung und die Äußerung von Behandlungswünschen. Die christlichen Kirchen empfehlen, sich frühzeitig und intensiv darüber Gedanken zu machen, welche Vertrauenspersonen als Bevollmächtigte und rechtliche Betreuer benannt werden können und welche medizinische Behandlung gewünscht oder ausgeschlossen wird. Auch wenn es nicht gesetzlich vorgeschrieben ist, sei eine ärztliche Beratung beim Ausfüllen des Formulars ratsam. Im Gegensatz zu anderen ähnlichen Vorsorgetexten berücksichtigt das Dokument auch theologisch-ethische Aspekte eines christlichen Umgangs mit Lebensende, Sterben und Tod.
Quelle: IMABE-Newsletter Februar 2011

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Studie: Frauen-Todesrate in Industrienationen nach IVF höher als nach Abtreibung

Künstliche Befruchtung ist für die Mutter Risikofaktor, insbesondere bei fremden Eizellen

Das Verfahren der künstlichen Befruchtung kann das Leben der Mutter gefährden. Eine rezente Studie aus den Niederlanden zeigt, dass die Sterblichkeit im Rahmen von IVF-Schwangerschaften erhöht war: Die Mortalitätsrate war bei IVF-Schwangerschaften in den Jahren 1984 – 2008 mehr als dreimal so hoch (42/100.000) als bei allen Schwangerschaften insgesamt (12,8/100.000), berichten die Studienautoren in Human Reproduction (2010; 25: 1782-1786). In post-industriellen Gesellschaften bringe die In-Vitro-Fertilisierung bereits ein höheres Risiko für den Tod der Mütter mit sich als eine Abtreibung, konstatieren britische Gynäkologen nun im Editorial des British Medical Journal (2011; 342: d436) kritisch. Deshalb fordern sie, dass offener über Risiken bei In-vitro-Fertilisierung aufgeklärt, nur noch ein Embryo eingesetzt, sowie schwere Komplikationen systematisch dokumentiert werden, um daraus lernen zu können.

Laut Susan Bewley von der Guy’s and St. Thomas NHS Foundation Trust in London und ihren Kollegen starben in den Jahren 2003 und 2005 in Großbritannien sieben Frauen direkt an den Folgen einer künstlichen Befruchtung. Vier der Todesfälle gingen auf ein sogenanntes ovarielles Hyperstimulations-Syndrom zurück: Frauen müssen für das Spenden von Eizellen extrem hohe Hormondosen zu sich nehmen. Die dafür verwendeten Medikamente stellen eine große Belastung für den weiblichen Organismus dar. Eine zweite Gefahrenquelle sind Mehrlingsschwangerschaften, da im Zuge eines IVF-Verfahrens meist mehrere Embryonen zugleich implantiert werden, um die Chance einer Schwangerschaft zu erhöhen.

Eine jüngst im Deutschen Ärzteblatt veröffentlichte Studie zeigt außerdem, dass Frauen, denen „gespendete“ befruchtete Eizellen eingesetzt wurden, als Hochrisikopatienten einzustufen sind (2011; 108(3): 23-31). Es kam zu einer deutlich höheren Häufung von schwangerschaftsinduziertem Bluthochdruck („Präeklampsie“), der in drei von acht Fällen zwischen 2006 und 2010 so gefährlich war, dass die Schwangerschaft wegen akuter Lebensbedrohung für die Mutter frühzeitig beendet werden musste.

Quelle: IMABE-Newsletter Februar 2011

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Österreich: Debatte um „Kind als Schaden“-Gesetzesnovelle geht weiter

Widerstand gegen Novellen-Gegner wächst, IMABE unterstützt Gesetzesänderung

Die öffentliche Debatte um die „Kind als Schaden“-Gesetzesnovelle in Österreich geht weiter. Während sich Bundespolitiker mit Aussagen zurückhalten, melden sich Interessensvertreter, Ärzte, Juristen und Bioethiker zu Wort. In einer Stellungnahme auf einer von der Aktion Leben eingerichteten Internet-Plattform www.contra-schadenersatz.at kritisiert IMABE die derzeitige widersprüchliche Judikatur des Obersten Gerichtshofes (OGH). Er versuche, die Existenz des behinderten Kindes und seinen Unterhalt fein säuberlich voneinander zu trennen – was einer Quadratur des Kreises gleichkomme. „Wer außerdem behauptet, dass im Falle einer Gesetzesänderung die Qualität der Pränataldiagnostik schwer leiden würde, dürfte schon jetzt an einer Fehlauffassung des ärztlichen Ethos erkrankt sein. Gott sei Dank dürfte es nur sehr wenige Gynäkologen – und auch sonst Ärzte – geben, die die Qualität ihres ärztlichen Handelns vorwiegend an der drohenden Schadenshaftung ausrichten, sozusagen nur dann gut arbeiten, wenn sie die Faust des Gesetzes im Nacken spüren“, so die IMABE-Stellungnahme (online, 04. 02. 2011).

Namhafte Juristen sind sich einig, dass die Debatte um das Schadenersatzrecht auf einer „juristisch vollkommen falschen Basis“ geführt werde, nämlich indem eine fehlerhafte Pränataldiagnose (Schädigung des Embryos durch unterlassene Therapie) gleichgesetzt werde mit der unterlassenen Tötung des Embryos. Ein Arzt könne nicht für eine nichterfolgte Abtreibung haftbar gemacht werden, betont der ehemalige Dekan der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Linz, Rudolf Reischauer, in einem Kommentar in der Presse (online, 02. 02. 2011). Ergänzend gibt der Wiener Jurist Thomas Piskernigg zu bedenken, dass die OGH-Urteile eine klare Diskriminierung Behinderter beinhalten: „Was nützt es dem (behinderten) Kind, wenn seine Eltern im allgemeinen ‚Menschenfreunde’ sind, die Unterhaltspflicht für ihr ganz konkret vor ihnen stehendes Kind aber als Schaden betrachten und damit ablehnen? (…) Die rechtliche Negativbewertung der Unterhaltspflicht schlägt also wiederum auf die Kindesexistenz selbst durch und widerspricht daher der Menschenwürde“, betont der Jurist und IMABE-Mitarbeiter im Standard (online, 08. 02. 2011).

Laut der Österreichischen Gesellschaft für Kinder- und Jugendheilkunde seien internationalen Studien zufolge schon jetzt „zumindest 30% aller Befunde unnötigerweise erhoben“, da Ärzte Angst hätten, etwas zu übersehen und dafür haftbar gemacht zu werden (Pressemitteilung, online 13. 01. 2011). Wer einer Defensivmedizin gesetzlich Vorschub leiste, steigere damit auch unnötig Kosten für das Gesundheitssystem, so die Kritik.

Die österreichische Chirurgin Hildegunde Piza, selbst bis 2007 Mitglied der Bioethikkommission, plädiert in einem Standard-Kommentar (online, 04. 02. 2011) für ein prinzipielles Umdenken in der Ärzteschaft. Ärzte seien verführbarer geworden, da sie nicht mehr nur für Krankheiten, sondern für das gesamte Lebensglück der Patienten zuständig seien. Deren Wünsche spiegelten oftmals einen überzogenen Heilsanspruch wider. In einer auf Leistung und Perfektion ausgerichteten Gesellschaft sei es notwendig, dass Ärzte auch gegen den herrschenden Mainstream ihr berufliches Ethos verteidigen.

Quelle: IMABE-Newsletter Februar 2011

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Donnerstag, 3. Februar 2011

Seltsame Blüten in der Debatte über das Schadenersatzrecht

Die derzeitige Diskussion über pränatale Fehldiagnosen und ihre Folgen wird auf einer juristisch völlig falschen Basis geführt. (Gastkommentar)

Die Diskussion um die Haftung wegen einer fehlerhaften Pränataldiagnostik treibt seltsame Blüten. Vor allem wird sie, sofern es um die Schädigung des Embryos durch einen Diagnosefehler geht, auf einer juristisch vollkommen falschen Basis geführt. Jedem Juristen muss dies klar sein. Juristischen Laien kann man dies nicht vorwerfen, sie handelten denn wider besseres Wissen. Dies will ich nicht unterstellen. Polemik verdient in solider Diskussion keine Antwort.


Husslein auf dem Holzweg

Die Aussage des Gynäkologen Professor Peter Husslein in seinem Gastkommentar „Ärztekammer, Schutzpatronin der Schlampigen“ („Die Presse“ vom 24.1.), dass der Ministerialentwurf zur Aufhebung des Schadenersatzes bei fehlerhafter Pränataldiagnostik führe, ist, soweit es um die Gesundheitsbeeinträchtigung des Embryos geht, schlechthin falsch, und zwar unwiderlegbar. Sollte die von Husslein ins Treffen geführte Bioethikkommission seine Fehlvorstellung teilen, befände sie sich auf demselben Holzweg.

Erkennt der behandelnde Arzt am Embryo einen schon im Mutterleib behandelbaren Defekt sorgfaltswidrig nicht, oder macht er die Schwangere sorgfaltswidrig nicht darauf aufmerksam, dass eine Untersuchung von einem anderen, fachlich kompetenteren oder mit besseren Mitteln ausgestatteten Arzt vorzunehmen ist, und erleidet der Embryo dadurch Schaden, so begeht der Behandelnde durch diese Unterlassung das Delikt der Körperverletzung.


Juristische Binsenweisheit

Er wird dem Geborenen wegen dieser Körperverletzung schadenersatzpflichtig (§ 1325 iVm § 22 ABGB); dies unabhängig davon, ob er mit der Schwangeren einen Behandlungsvertrag geschlossen hat oder nicht. An dieser Rechtslage würde auch die vom Justizministerium ins Auge gefasste Novellierung nichts ändern: § 1293 Abs 2 des Entwurfs lautet: „Aus dem Umstand der Geburt eines Kindes kann niemand Schadenersatzansprüche geltend machen. Ausgenommen davon sind Schadenersatzansprüche aus einer Verletzung des Kindes während der Schwangerschaft oder der Geburt.“

Dass die Gesundheitsbeeinträchtigung infolge Nichtvornahme einer gebotenen Behandlung eine Körperverletzung im Rechtssinn ist, zählt zu den juristischen Binsenweisheiten. Die Haftung des sorgfaltswidrig handelnden Arztes ist nach dem Entwurf zweifellos weiter gegeben.

„Der Sinn der Pränataldiagnostik ist es nicht, Chromosomenstörungen und Fehlbildungen zu diagnostizieren und Schwangerschaften abzubrechen, sondern ,Problemkinder‘ rechtzeitig zu erkennen – und soweit es möglich ist, bereits vor der Geburt zu behandeln“, schreiben die Gynäkologen Prof. Philipp und Prof. Hafner in ihrem Leserbrief in der „Presse“ vom 24.1. Das habe auch ich, ein medizinischer Laie, immer so verstanden. Diesem Sinn steht der Ministerialentwurf nicht im Wege, er trägt ihm vielmehr Rechnung.


Haftung bleicht aufrecht

Die Haftung für die Beeinträchtigung des Embryos bleibt aufrecht. Die einschlägige Prävention zwecks rechtzeitiger Erkenntnis von therapierbaren Behinderungen und potenzieller Therapie infolge dessen ebenfalls. Mit der Frage des Ersatzes der Unterhaltskosten wegen Nichtabtreibung infolge einer fehlerhaften Pränataldiagnostik hat das Ganze nicht das Geringste zu tun. Hier führt der Fehler nicht zur Beeinträchtigung des Embryos, sondern zur Geburt eines Menschen.


Em. o. Univ.-Prof. Dr. Rudolf Reischauer (*27.10.1941 in Salzburg) war Professor für Wirtschaftsprivatrecht an der Uni Linz und Dekan der dortigen rechtswissenschaftlichen Fakultät.

Quelle: "Die Presse" vom 02. Februar 2011

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