Montag, 13. Februar 2012

IMAGO HOMINIS-Vorschau: Ethik in der Pflege (Band 1)

Das spezifische pflegerische Handeln hat in der zweiten Hälfte des 20. Jh. eine Komplexität erreicht, die für Praxis, Lehre und Forschung eine wissenschaftliche Systematisierung erforderlich gemacht hat. Man muss nur an die Vielfalt und Verschiedenheit der Pflegesituationen denken: Kranken- und Altenpflege, Krankenhauspflege, Pflege in Sonder- und Intensivstationen, Behindertenpflege, häusliche und institutionelle Pflege, Pflege von Dementen, von Komapatienten, von Frühgeborenen usw. Auf die Entwicklung der Pflegewissenschaften folgte notgedrungen eine ethische Reflexion über die moralischen Dimensionen dieses komplexen systematisierten Handelns. So entstand die Pflegeethik als eine angewandte Ethik, der sich die aktuelle und die kommende Ausgabe von Imago Hominis schwerpunktmäßig widmen.

In Band 1 setzt sich die Pflegeethikerin Doris Pfabigan (Universität Wien) mit zwei wichtigen Prinzipien der Pflegeethik, Würde und Autonomie, im Kontext der geriatrischen Langzeitpflege auseinander. Diese zwei Prinzipien werden theoretisch und praktisch im Hinblick auf die Anwendung auf die Langzeitpflege aufgearbeitet. Hanna Mayer und Sylvia Ferch (Institut für Pflegewissenschaft, Universität Wien) präsentieren die Ergebnisse einer qualitativen Studie darüber, wie an Brustkrebs erkrankte Frauen das Spannungsfeld zwischen Selbst- und Fremdbestimmung erleben: So zählen für sie persönliche Wertschätzung und empathische Anteilnahme als wesentliche Merkmale im Fürsorgeerleben zu den Grundvoraussetzungen, um gemäß ihren Vorstellungen von Selbstbestimmung agieren zu können.

Der Soziologe Josef Hörl (Universität Wien) behandelt das Problem der Gewalt gegen alte Menschen in der Pflege. Empirische Studien zeigen ein eher düsteres Bild, in dem Gewalt in der häuslichen Pflege wie in Pflegezentren keine Ausnahme ist. Motivation, Ursachen, Folgen und Nebenfolgen werden dargelegt. Martina Hiemetzberger (Sozialmedizinisches Zentrum Ost, Donauspital, Wien) befasst sich unter dem Titel „Der Tod und seine zwei Gesichter“ mit dem Spezialfall der Pflege von Hirntoten bis zur Entnahme von Organspenden, die für Pfleger eine besonders belastende Situation darstellt.

Eine Vorschau der Imago-Hominis-Ausgabe 1/2012 mit dem Schwerpunkt „Ethik in der Pflege I“ findet sich auf http://www.imabe.org/index.php?id=1522, das Einzelheft kann um 10 Euro bezogen werden.

Quelle: IMABE-Newsletter Februar 2012

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Euthanasie: Holland bietet „ambulante Todesteams“ und „Lebensende-Klinik“

Niederländische Ärzte fürchten unabsehbare Folgen für das Arzt-Patient-Verhältnis

Sechs ambulante „Spezialistenteams“ sollen in den Niederlanden vom 1. März 2012 an „Sterbehilfe“ leisten. Wie die Niederländische Vereinigung für ein freiwilliges Lebensende (NVVE) fordert, sollen die jeweils aus einem Arzt und einem Krankenpfleger bestehenden Teams Betroffene zu Hause aufsuchen und dort die Tötung durchführen. Grund für die Einführung der ambulanten Teams sei, dass immer wieder Menschen mit Todeswunsch Schwierigkeiten hätten, einen dazu bereiten Arzt zu finden, berichtet die deutsche Ärzte Zeitung (online 9.2.2012).

Das ambulante Spezialistenteam führt vor der Tötung zu Hause ein sogenanntes „Screening“, bestehend aus mehreren Gesprächen zwischen den Ärzten und Pflegern sowie möglicherweise dem Hausarzt des Patienten durch, wobei geprüft werden soll ob es sich um eine ausweglose, untragbare Leidenssituation für die jeweilige Person handelt. Danach wird jeder Fall durch eine Kommission geprüft. Die Zahl der Sterbehilfefälle in den Niederlanden ist stark angestiegen. Laut Bericht der Aufsichtsbehörde seien 2010 3.136 Fälle von Euthanasie gemeldet worden – um 19 Prozent mehr als im Jahr 2009.

Ergänzend zu den ambulanten Besuchen soll im Laufe des Jahres auch eine „Klinik zur Lebensbeendigung“ in Den Haag durch die NVVE errichtet werden. Die NVVE schätzt, dass jährlich rund 1.000 Patienten die Klinik in Anspruch nehmen werden. Dabei handle es sich vor allem um Krebspatienten im Endstadium, chronisch psychisch Kranke und demente Menschen.

Niederländische Ärzte fürchten, dass die geplanten ambulanten Sterbehilfe-Teams unabsehbare Folgen für das Arzt-Patienten-Verhältnis haben könnten. "Wir halten es für problematisch, dass in diesen Fällen die Beziehung zwischen Arzt und Patient ausschließlich auf die Sterbehilfe konzentriert ist", sagt Eric van Wijlick von der Königlichen Niederländischen Ärztevereinigung (KNMG). Die KNMG ist die größte Ärzteorganisation in den Niederlanden. Sie vertritt die Interessen von mehr als 53.000 Ärzten und Studierenden in ethischen, rechtlichen und Qualitäts-Fragen.

Scharfe Kritik kommt auch aus Deutschland: Es dürfe kein gesellschaftliches Klima entstehen, in dem Sterbehilfe für Menschen, die Angst vor körperlichen Schmerzen, seelischen Nöten oder Vereinsamung haben, ein Mittel der Wahl sein, sagt der Präsident der Ärztekammer Nordrhein, Rudolf Henke (Deutsches Ärzteblatt, online 7.2. 2012). „Es bleibt unsere tiefe Überzeugung, dass das Töten nicht ins Handwerkszeug von Ärztinnen und Ärzten gehört“, sagte Henke. Gerade die Tatsache, dass die betreuenden Hausärzte die Euthanasie verweigern, unterstreiche die Fragwürdigkeit der neuen Initiative, betonte Raymond Voltz, Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin. "Wenn ein Hausarzt, der den Patienten gut kennt, die Sterbehilfe ablehnt und auch keinen Kollegen bittet, sie zu übernehmen, wird er seine Gründe haben."

Quelle: IMABE-Newsletter Februar 2012

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Studie: Chemotherapie ist trotz Schwangerschaft möglich

Keine Hinweise auf Schädigung der Kinder nach Krebsbehandlung bei der Mutter

Das Risiko, dass eine Chemotherapie im zweiten oder dritten Drittel der Schwangerschaft dem Kind dauerhaft Schäden zufügt, ist offenbar gering. Zu diesem Ergebnis kommt eine aktuelle Studie in Lancet Oncology (2012; doi: 10.1016/S1470-2045(11)70363-1), die intrauterin exponierte Kinder teilweise bis zum Erwachsenenalter begleitet hat, berichtet das Deutsche Ärzteblatt (online 10.2.2012).

Frédéric Amant vom Krebsinstitut der Katholischen Universität Löwen in Belgien untersucht zusammen mit Kollegen aus den Niederlanden und Tschechien seit 2005 Kinder, deren Mütter während der Schwangerschaft eine Chemotherapie erhalten hatten. Die Kinder wurden nach der Geburt, im Alter von 18 Monaten und im Alter von fünf, acht, neun, elf, 14 und 18 Jahren einer Reihe von neurologischen Tests unterzogen.

Bislang liegen Ergebnisse zu 70 Kindern aus 68 Schwangerschaften vor. Die Mütter waren zumeist an Brustkrebs erkrankt. Sie hatten insgesamt 236 Zyklen einer Chemotherapie erhalten. Am häufigsten wurden die Anthracycline Doxorubicin, Epirubicin, Idarubicin und/oder Daunorubicin eingesetzt.

Amant fand bisher keinen Hinweis darauf, dass die Kinder durch die Krebsbehandlung geschädigt wurden. Auch die neurokognitive Entwicklung sei normal, berichtet er. Nur bei den Kindern, die vorzeitig entbunden wurden – teilweise geschah dies, um sie vor einer Exposition durch eine Chemotherapie ihrer Mutter zu schützen – wurden leichte Defizite entdeckt. Auch hier entsprachen die Ergebnisse aber den Werten, die bei Frühgeborenen von nicht an Krebs erkrankten Müttern gemessen werden. Nun seien Langzeitstudien mit mehr Kindern angezeigt.

Amant rät dazu, die Indikation für eine frühzeitige Einleitung der Geburt („iatrogene Frühgeburt“) zurückhaltend zu stellen. Eine Therapie im ersten Drittel ist bei Onkologen tabu, da sich in dieser embryonalen Phase die Organe entwickeln. In der Praxis sei, so die Studie, eine Chemotherapie ab einem Gestationsalter von 14 Wochen möglich unter Berücksichtigung der pränatalen Vorsorge.

Quelle: IMABE-Newsletter Februar 2012

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Public Health: Wirksame Burnout-Prävention braucht Strategien zur Sinnfindung

Mehr Augenmerk auf die „individuelle Einstellung zur Arbeit“ gefordert

Der Begriff Burnout wird inflationär gebraucht – doch hilft das weiter für eine wirksame Prävention? Dieser Frage geht der Mediziner und IMABE-Mitarbeiter Jan Stejskal in einem aktuellen Kommentar in der Österreichischen Ärztezeitung (online 25.1.2012) nach.

Die Diagnose Burnout wird derzeit weder nach der ICD-10 noch nach den Kriterien der American Psychiatric Association (DSM-IV) als Störung mit Krankheitswert anerkannt, sondern bloß als Faktor verbunden mit Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung. Gängige Burnout-Tests weisen eine auffallende Ähnlichkeit mit Depressionsfragebögen auf, was leicht zu Vermischung führen kann. Hinter der „Diagnose“ Burnout kann sich auch eine ernsthafte psychische Krankheit wie Depression oder Angststörung verbergen. Eine klare Abgrenzung zu depressiven Erkrankungen wäre daher dringend nötig, konstatiert Stejskal. Zugleich sei ein positiver Nebeneffekt zu erkennen: Burnout bilde inzwischen eine Brückenfunktion, die zur Enttabuisierung beitrage, um über die Probleme am Arbeitsplatz offen zu reden und professionelle Unterstützung durch einen Arzt zu suchen. Dies sei begrüßenswert.

In der Burnout-Prävention sei es jedoch notwendig, mehr Augenmerk auf die „individuelle Einstellung zur Arbeit“ zu richten. „Wer meint, sich in der Arbeit sein gesamtes Lebensglück über Anerkennung oder Geld verdienen zu können, wird früher oder später scheitern – mit möglicherweise verheerenden Folgen“, so der Mediziner. Erklärungen, die die zunehmende berufliche Überforderung und Erschöpfung rein als Folge von äußeren Faktoren interpretieren, seien überholt. Zu den wichtigsten Faktoren einer wirksamen Burnout-Prävention zählt Stejskal neben einer „ausgewogenen Einstellung zur Arbeit, ohne diese als Selbstzweck zu betrachten“, einen „vernünftigen Zeitplan unter Berücksichtigung der eigenen Familie oder privater Interessen“ sowie „Sinnfindungsstrategien innerhalb und außerhalb der Berufswelt“.

Quelle: IMABE-Newsletter Februar 2012

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Studie: Zahl der Demenzpatienten bis 2050 verdreifacht

Pflegepersonal im Umgang mit dementen Patienten überfordert

Die Zahl der Demenzkranken wird im Zuge der höheren Lebenserwartung weltweit von heute rund 36 Millionen bis zum Jahr 2050 auf 115 Millionen Patienten ansteigen. Auch Österreich ist davon betroffen: Derzeit gibt es hierzulande rund 100.000 Demenzkranke. Bis 2050 wird fast jeder zehnte Über-60-Jährige an Morbus Alzheimer erkranken. Das ist das Ergebnis einer jüngst veröffentlichten Erhebung des Allianz-Versicherungskonzerns. Diese Entwicklung führt u. a. auch dazu, dass immer mehr Patienten in Krankenhäusern neben ihrer akuten Erkrankung eine Demenz aufweisen. Das zukünftige Pflegepersonal scheint darauf jedoch kaum vorbereitet.

Aus einer nun veröffentlichten Studie („Demenzsensible nichtmedikamentöse Konzepte in Pflegeschulen“, IPP-Schriften, Ausgabe 08 /2012) des Institut für Public Health und Pflegeforschung (IPP) der Universität Bremen geht hervor, dass sich ein Großteil der Auszubildenden im Umgang mit an Demenz erkrankten Patienten überfordert fühlt.

Studienleiter Stefan Görres und sein Team befragten über mehrere Monate alle rund 1.300 Kranken- und Altenpflegeschulen in Deutschland sowie knapp 2.500 Pflegeauszubildende. Die wichtigsten Ergebnisse: Zwar ist ein Großteil (75,6 Prozent) der Auszubildenden der Gesundheits- und Krankenpflege regelmäßig mit der Betreuung demenzerkrankte Menschen im Krankenhaus befasst, doch nur knapp ein Viertel (23,4 Prozent) von ihnen glaubte zum Zeitpunkt der Befragung, dass ihre Kompetenzen ausreichten, um Menschen mit Demenz bedürfnisorientiert zu pflegen. Bei knapp Dreiviertel (74 Prozent) der Gesundheits- und Krankenpflegeauszubildenden treten Kompetenzunsicherheiten auf, wenn Demenzpatienten zum Beispiel aggressiv sind. 64,9 Prozent haben Probleme, die Bedürfnisse der an Demenz erkrankten Menschen zu erkennen. Gut die Hälfte der Auszubildenden (56,3 Prozent) fühlt sich im Umgang mit den Angehörigen schlecht vorbereitet.

Auffallend war, dass Altenpflegeschulen in der Ausbildung des künftigen Pflegepersonals besser gerüstet scheinen, während bei Gesundheits- und Krankenpflegeschulen eindeutig ein Nachholbedarf festzustellen war.

Quelle: IMABE-Newsletter Februar 2012

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Kanada: Ärzte wehren sich gegen Abtreibung weiblicher Föten

Soll die Information über das Geschlecht zurückgehalten werden?

Indikation „Mädchen“, Therapie „Abtreibung“: Der Genderzid (Abtreibung bloß aufgrund des „falschen Geschlechts“) hat auch Kanada erreicht. Jüngste Erhebungen zeigen, dass Immigrantinnen aus Indien, China und Korea unverhältnismäßig mehr Buben gebären, auch wenn sie in Kanada finanziell abgesichert und integriert waren.

Im Editorial des Canadian Medical Association Journal (DOI:10.1503/cmaj.120021) zeigt sich Chefredakteur Rajendra Kale, gebürtiger Inder, alarmiert: „Soll man etwa den Fetozid weiblicher Föten in Kanada einfach als unbedeutend abtun, weil es sich ’nur’ um ein kleines Problem innerhalb einer ethnischen Minorität handelt? Nein. Auch ‚einige Wenige’ können nicht ignoriert werden, wenn es sich um eine Diskriminierung der Frau in ihrer extremen Ausformung handelt.“ Die Autoren im CMAJ fordern Maßnahmen zur Begrenzung geschlechtsselektiver Abtreibung. Ein Vorschlag lautet, die Information über das Geschlecht des Babys – soweit medizinisch irrelevant – bis zur 30.Schwangerschaftswoche zurückzuhalten. Dies stieß prompt auf Kritik: Tests zur Bestimmung des Geschlechts des Ungeborenen seien längst im Handel erhältlich und könnten zu Hause durchgeführt werden. Und außerdem: Wie könne nach geltender Rechtslage ein Arzt eine Abtreibung verweigern, selbst wenn er die wahren Beweggründe der Mutter ahnt, ohne sich dabei rechtlich die Finger zu verbrennen?

Lauren Vogel bringt in ihrem Beitrag (DOI:10.1503/cmaj.109-4091) die zahlreichen Widersprüche zwischen einer laxen Abtreibungspraxis, dem Recht auf Leben, der Achtung von kultureller Diversität, der Autonomie der Frau und der Forderung des vorgeburtlichen Lebensschutzes für Mädchen im embryonalen Stadium auf den Punkt: Die Selektion nach Geschlecht sei eigentlich nur die Spitze des Eisberges.

Beide Seiten, Pro Life- und Pro Choice-Unterstützer, bezeichnen den kanadischen Vorschlag als unlogisch: Warum sollten Ärzte von der Tötung eines weiblichen Babys abraten, zugleich aber die Abtreibung von Down-Syndrom-Föten hinnehmen? Sind nun alle Föten gleich - oder einige “gleicher“? (vgl. National Post, 17.1.2012) Der Genderzid ist weltweit als Problem erkannt worden (vgl. Parlamentarischer Ausschuss im Europarat und WHO-Bericht 2011). Auch in Europa, etwa in Norwegen und Großbritannien, gibt es bei Einwanderern aus asiatischen Kulturkreisen vor allem beim zweiten oder dritten Kind eine erkennbar bubenlastige Geburtenquote, was als typisches Indiz für eine vorgeburtliche Geschlechtsauswahl gilt. Selbst Schweden hatte 2009 entschieden (vgl. Imabe-Newsletter Juni 2009), dass die geschlechtsselektive Abtreibung erlaubt sei.

Quelle: IMABE-Newsletter Februar 2012

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