Mittwoch, 13. Februar 2013

ADHS: „Zappelphilipp-Syndrom“ wird zu häufig diagnostiziert

Ärzte kritisieren „Modekrankheit“ und warnen vor steigendem Medikamentenverbrauch

Die Daten sind erschreckend: Die Zahl der diagnostizierten ADHS-Fälle (Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Syndrom) stieg in Deutschland zwischen 2006 und 2011 bei den unter 19-Jährigen um 42 Prozent, wie aus dem jüngsten Barmer-Arztreport 2013 hervorgeht. In dieser Altersgruppe erhielten im Jahr 2011 472.000 Buben und 149.000 Mädchen die Diagnose ADHS. Gleichfalls hoch sind dem Report zufolge die Verordnungsraten von Ritalin (Methylphenidat). 2011 wurde das Medikament an rund 336.000 Personen verschrieben. Die höchsten Verordnungsraten finden sich bei Kindern im Alter von elf Jahren. Im Laufe der Kindheit und Jugend dürften damit schätzungsweise 10 Prozent aller Buben und 3,5 Prozent aller Mädchen mindestens einmal Methylphenidat erhalten. 

Anlässlich der Vorstellung des Reports zeigte sich der stv. Vorstandsvorsitzende der Barmer GEK, Rolf-Ulrich Schlenker, besorgt über diese Entwicklung. „Dieser Anstieg erscheint inflationär. Wir müssen aufpassen, dass ADHS-Diagnostik nicht aus dem Ruder läuft und wir eine ADHS-Generation fabrizieren“, betonte Schlenker (Pressemitteilung, online, 29. 1. 2013). Pillen gegen Erziehungsprobleme seien der falsche Weg: Ritalin dürfe nicht per se das Mittel der ersten Wahl sein. Stattdessen komme es auf „trennscharfe Diagnosen“ an. 

Empirische Untersuchungen hatten erst kürzlich gezeigt, dass Psychotherapeuten und Kinderpsychiater sich zu häufig auf ihre Intuition und die Kennzeichen eines Prototyps für ADHS verlassen statt sich eng an die gültigen Diagnosekriterien zu halten (Pressemitteilung der Ruhr Universität Bochum, online, 30. 3. 2012). Insbesondere bei Buben stellten sie deutlich mehr Fehldiagnosen als bei Mädchen, so die Ergebnisse der deutsch-schweizerischen Studien, wobei Männer eher zu dieser Diagnose neigten als Frauen. Die Ausgaben für ADHS-Medikamente haben sich von 1993 bis 2003 verneunfacht – beispielsweise für das leistungssteigernde Methylphenidat. 

Die Reportautoren Thomas G. Grobe und Friedrich W. Schwartz vom Institut für Sozialmedizin, Epidemiologie und Gesundheitssystemforschung (ISEG) in Hannover ermittelten zudem einige Eltern-abhängige Faktoren, die das Risiko für eine ADHS-Diagnose und die Verordnung von Medikamenten wie Methylphenidat bei Kindern beeinflussen, und kommen zum selben Schluss wie eine schwedische Studie (vgl. IMABE-Newsletter Juni 2010 Public Health: Schwierige Familienverhältnisse begünstigen ADHS bei Kindern). Demnach steigt mit niedrigem Ausbildungsniveau der Eltern das Risiko der Kinder für ADHS, ebenso bei Kindern von Alleinerziehenden. Kinder arbeitsloser Eltern sind häufiger von der Störung betroffen, bei Kindern von Gutverdienern wird sie tendenziell seltener diagnostiziert. 

Ein internationales Forscherteam arbeite derzeit an einer nicht-medikamentösen Behandlung von ADHS, berichtet der Standard (online, 5. 2. 2013). Die bisherigen Ergebnisse für diese Therapieform sind noch zu dünn. Um eine eindeutige Aussage treffen zu können, müssten dringend mehr verblindete Studien her, um wissenschaftlich aussagekräftig zu sein.

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Studie: Geben macht gesünder als nehmen

Anderen Hilfe zu leisten ist ein protektiver Gesundheitsfaktor

Der gute Samariter hilft, ohne einen eigenen Vorteil einzukalkulieren. Dass selbstlose Hilfe offenbar nicht nur tugendhaft, sondern auch gesund ist, legt nun eine jüngst im American Journal of Public Health (doi: 10.2105/AJPH.2012.300876) publizierte Studie nahe. Sie zeigt, dass Menschen, die, obwohl sie selbst eine belastende Situation durchmachen, anderen helfen, gesünder und länger leben. Anderen Hilfe zu leisten sei ein protektiver Gesundheitsfaktor, sagt Studienleiter Michael J. Poulin von der University at Buffalo (vgl. Pressemitteilung, online, 4. 2. 2013). 

In einer fünf Jahre dauernden Studie analysierte der Psychologe gemeinsam mit Kollegen von der Stony Brook University/New York und der Grand Valley State University/Michigan das Verhalten von 846 Teilnehmern. In den Daten wurde erfasst, ob sie im Vorjahr belastende Ereignisse erlebt hatten, wie etwa eine schwere Krankheit, einen Einbruch, Verlust eines bezahlten Jobs, finanzielle Schwierigkeiten oder den Tod eines geliebten Menschen. Ebenso erfasst wurde, ob sie konkrete Hilfe für Freunde oder Familienmitglieder leisteten. Als Beispiele der Hilfe wurden die Bereitstellung von Fahrzeugen für den Transport, Besorgungen und Einkäufe, die Durchführung der Hausarbeit, Betreuung eines Kindes oder ähnliche Aufgaben genannt. 

Mit Hilfe des Cox Proportional Hazard Modells, mit dem sich der Einfluss von erklärenden Variablen auf eine Überlebenszeit untersuchen lässt, ergab sich eine signifikante Wechselwirkung zwischen Hilfeverhalten, belastenden Ereignissen, Morbidität und Mortalität. Das unmittelbare Todesrisiko stieg bei denen, die belastende Ereignisse erlebten, ohne für andere da zu sein. Bei jenen hingegen, die anderen halfen, reduzierte sich das Mortalitätsrisiko. Tätiges Helfen kann die negativen Auswirkungen von Stress offenbar puffern, folgern die Autoren.

Foto:  © Damaris / PIXELIO

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Euthanasie: Der Tod als professionelle Dienstleistung – auch für Minderjährige?

Menschen mit Todeswunsch brauchen Hilfe zum Leben und nicht zur Beendigung des Lebens

Ein taubes Zwillingspaar hat in Belgien laut einem Pressebericht gemeinsam ärztliche Sterbehilfe in Anspruch genommen, nachdem die Geschwister allmählich zu erblinden begannen. Die beiden 45 Jahre alten Männer aus dem Raum Antwerpen hätten neben ihrer Taubheit seit einigen Jahren auch an Sehproblemen gelitten. Am 14. Dezember 2012 verabreichten ihnen Ärzte des Brüsseler Universitätsklinikums die tödlichen Injektionen. Die Brüder hatten nicht an einer tödlichen Krankheit gelitten. 

„Der Fall der Zwillinge ist skandalös“ schreibt die FAZ (online, 16. 1. 2013). Nicht deshalb, „weil zwei Menschen aus Verzweiflung und Angst in den Tod flüchteten, sondern weil sie jemanden fanden, der ihnen beim Sterben half“. Diese Entscheidung setze voraus, „dass das Leben der Zwillinge, deren Schicksal die Taubblindheit und keine tödliche Krankheit war, als nicht mehr lebenswert eingestuft wurde. Die Schleusen, Sterbehilfe und Behinderung von nun an in einem Atemzug zu nennen, sind damit geöffnet. Für die Betroffenen ist das fatal“. 

Während der Fall in vielen Ländern Empörung ausgelöst hat, geht der belgische Senat nun einen Schritt weiter. In Zukunft soll, so der Vorschlag der regierenden Sozialisten, aktive Sterbehilfe auf Minderjährige und demente Menschen ausgeweitet werden (vgl. IMABE-Newsletter, Jänner 2013). Aktive Sterbehilfe ist in Belgien seit zehn Jahren unter bestimmten Umständen gestattet, bei Minderjährigen noch verboten. Laut geltendem Gesetz muss der unheilbar kranke Patient im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte den Wunsch zu sterben „freiwillig, überlegt und wiederholt“ geäußert haben. Hoffnung auf Linderung darf nicht bestehen. Zudem muss die Krankheit ein Weiterleben für den Kranken „körperlich oder psychisch unerträglich“ machen. 

In einem Artikel in der Medizinzeitschrift Artenskrant (englische Version, online, 4. 2. 2013) berichtet ein betroffener Sohn, der belgische Wissenschafter Tom Mortier, vom Tod seiner Mutter durch Euthanasie. Sie hatte an einer chronischen Depression gelitten. Seine Mutter hatte zwei Jahre zuvor den Kontakt mit ihm abgebrochen. Die Ärzte des Brüsseler Universitätsklinikums, die die tödlichen Injektionen verabreichten, hatten ihn weder davor noch danach kontaktiert. 

Der dreifache Familienvater Mortier hat viele Fragen: „Was sind die Kriterien, um zu entscheiden, was ‚unerträgliche Leiden’ sind? Können wir uns auf eine solche Entscheidung einer psychisch kranken Person verlassen? Kann eine psychisch kranke Person eine ‚freie Wahl’ haben? Warum haben die Ärzte nicht versucht, ein Treffen zwischen der Mutter und ihren Kindern zu vereinbaren? Warum können wir es nicht mehr ertragen zu sehen, dass andere Menschen leiden?“ In Wahrheit sei der Appell an die „freie Wahl“ Folge der Bequemlichkeit, sich nicht um den anderen kümmern zu wollen, sagt Mortier. 

Der vorzeitige Tod als Dienstleistung für alle, ausgeführt von staatlich geprüften Fachleuten – ist das die Zukunft des Sterbens?, fragt der Journalist Alexander Kissler in einem kritischen Kommentar im deutschen Magazin Cicero (online, 22. 1. 2013) zur geplanten Neuregelung für Sterbehilfe-Vereine in Deutschland, die ärztlich assistierten Suizid anbieten. Die entsprechende Gesetzesvorlage, die Ende Jänner den Bundesrat hätte passieren sollen, wurde dank des Widerstandes der CDU/CSU vorerst auf Eis gelegt (vgl. Die Welt, online, 17. 1. 2013). 

Der Medizinethiker Axel W. Bauer weist darauf hin, „dass weit über 90 Prozent aller Suizidenten letzten Endes unter einer klinischen Depression leiden“. Sie befänden sich „in einer ausweglosen Lage, in der sie Hilfe bräuchten und nicht (…) den kostenlosen Todesstoß“, so Bauer in einem Interview im Deutschlandradio (online, 16. 1. 2013).

Foto: © Jens Goetzke / PIXELIO

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Gerontologie: Umgang mit dementen Klinikpatienten als Herausforderung

Neues Handbuch bietet praktische Hilfe und Information

Menschen mit Demenz gelten als eine der großen gesundheitsbezogenen und pflegerischen Herausforderungen der Zukunft. Die WHO prognostiziert insgesamt eine Verdreifachung der derzeit 35,6 Millionen Demenzfälle bis 2050 weltweit. In Deutschland werden laut dem Deutschen Institut für angewandte Pflegeforschung (dip) im Jahr 2030 bereits zwei von drei Patienten über 60 Jahre alt sein. Dementsprechend steigt auch die Zahl der an Demenz erkrankten Patienten. Dies verändert auch die Patientenklientel an den Krankenhäusern. 

Eine im Juni 2012 veröffentlichte Studie der Universität Witten/Herdecke (vgl. Pressemitteilung, 19. 6. 2012) zeigte, dass 30 Prozent aller Patienten in Krankenhäusern unter Hirnleistungsstörungen/Demenz sowie 50 Prozent aller älterer Patienten in geriatrisch spezialisierten Krankenhausabteilungen unter Demenz bzw. kognitiven Störungen leiden. Die Krankenhäuser, so das Resümee, seien auf diese Patientengruppe nicht eingestellt. Es handle sich dabei nicht bloß um ein pflegerisches Problem, sondern betreffe die gesamte medizinische Diagnostik, Therapie und Frührehabilitation. 

Das dip hat nun gemeinsam mit der Diözesan-Arbeitsgemeinschaft der Katholischen Krankenhäuser (DiAG) in der Erzdiözese Köln auf diese Not reagiert und eine Informationsschrift zum Umgang mit demenziell veränderten Patienten im Krankenhaus unter dem Titel Demenz im Krankenhaus (2012) vorgestellt. Sie soll laut Michael Isfort vom dip, wissenschaftlicher Leiter des Projektes, „Kliniken anregen, sich intensiv und konkret mit der Betreuung und Begleitung betroffener Patienten auseinanderzusetzen“. Zuvor hatte eine bundesweite Befragung von mehr als 130 Chefärzten und 140 leitenden Pflegekräften ergeben, dass jede Klinikstation durchschnittlich zwei Patienten mit einer Nebendiagnose Demenz betreut und die Bedeutung des Themas entsprechend hoch eingestuft wird (Pressemitteilung, online, 6. 2. 2013). Laut Befragung stellt vor allem der Mobilitätsdrang der Demenzkranken das Klinikpersonal vor große Probleme. Ärzte und Pflegende beschrieben übereinstimmend, dass eine notwendige Bettruhe von den betroffenen Menschen oft nicht eingehalten wird oder werden kann.

Neben einer notwendigen Sensibilisierung zum Thema soll laut Praxisbuch die Einbindung der Angehörigen und das Ehrenamt weiter ausgebaut, die bestehende Netzwerkarbeit intensiviert und Demenzbeauftragte benannt werden. Ferner gelte es, den Umgang mit Psychopharmaka kritisch zu hinterfragen und zu standardisieren.

Foto: © Gerd Altmann / PIXELIO

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EU: Bürgerinitiative One of Us zum Schutz des Embryos gestartet

„Eine Million Unterschriften als wichtiges Signal für die Demokratie und Solidarität mit den Wehrlosesten

Die Europaweite Bürgerinitiative One of Us („Eine/r von uns“) kann ab sofort unterstützt werden. Sie fordert von der Europäischen Union den Schutz der Würde und des Lebens des Embryos, denn er ist ‚einer von uns’: „Die Würde des menschlichen Embryos muss geachtet, und seine Unversehrtheit sichergestellt werden“. In Österreich werden bis Mai 2013 Unterschriften (in Papierform und online mit Namen, Adresse und Passnummer) gesammelt. 

IMABE-Geschäftsführerin Susanne Kummer begrüßt die Initiative. „Dieses Zeichen der Solidarität mit den wehrlosesten Menschen der Gesellschaft, den Ungeborenen, ist ein wichtiges Signal für die Demokratie. Es braucht klare gesetzliche Regelungen, damit medizinischer Fortschritt und menschliches Ethos nicht entkoppelt werden – auf Kosten fundamentaler Menschenrechte. Das geht jeden EU-Bürger an“, betont Kummer. 

Die Bürgerinitiative fordert, „die Finanzierung aller Aktivitäten, die die Zerstörung menschlicher Embryonen voraussetzen oder zum Ziel haben, einzustellen“. Betroffen wäre davon vor allem die Förderung der embryonalen Stammzellenforschung. Die Initiatoren berufen sich in ihrer Argumentation auf das sogenannte „Brüstle-Urteil“ des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) von 2011, wonach menschliche embryonale Stammzellen nicht für die Forschung patentiert werden dürfen, da die Zerstörung von Embryonen für die Stammzellen-Gewinnung gegen den Schutz der Menschenwürde verstoße und es sich bei befruchteten Eizellen um Embryonen handle. Logische Konsequenz daraus sei es laut der Initiative, dass jegliche Finanzierung von Aktivitäten eingestellt werden müsste, die mit der Zerstörung menschlicher Embryonen einhergehen. „Was für Patentämter gilt, sollte für die gesamte Politik der EU gelten“, argumentieren die Initiatoren aus sieben EU-Ländern (Frankreich, Italien, Deutschland, Spanien, Großbritannien, Ungarn und Polen). 

Notwendig für die Behandlung der Gesetzesvorschläge einer europäische Bürgerinitiative durch die EU-Kommission sind eine Million Unterschriften aus zumindest einem Viertel - also derzeit sieben – der EU-Mitgliedstaaten. Pro Land muss eine Mindestzahl an Unterstützungserklärungen erreicht werden, die sich an der Einwohnerzahl orientiert. Für Österreich sind das 14.500 Unterstützungserklärungen, „wir wollen aber wesentlich mehr haben“, sagte der Österreich-Sprecher der Initiative, Martin Kugler, gegenüber der APA (online, 30. 1. 2013). Sobald eine Initiative die Voraussetzung erfüllt, kann sie die EU-Kommission auffordern, einen Gesetzgebungsvorschlag vorzulegen. Die Chancen, diese Hürde zu bewältigen, sind nach Einschätzung der Initiatoren gut. Wer One Of Us unterzeichnen will, muss Bürgerin oder Bürger der EU sein, d. h. die Staatsangehörigkeit eines EU-Mitgliedstaats besitzen, und wie im EU-Wahlrecht mindestens 18 Jahre alt sein, außer in Österreich, wo das Mindestalter bei 16 Jahren liegt. Die Eintragungsfrist der Bürgerinitiative endet in Österreich am 10. Mai.

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IMABE-Stellungnahme zur Diskussion über die Wirkungsweise der „Pille danach"

In sehr wenigen, klar definierten Situationen kann die Verschreibung der „Pille danach“ ethisch zulässig sein

In Deutschland ist eine heftige Debatte über die Wirkungsweise der sogenannten „Pille danach“ aufgeflammt (vgl. Deutsches Ärzteblattonline, 4.2.2013). Anlass war die Frage, ob katholische Krankenhäuser die „Pille danach“ an Vergewaltigungsopfer abgeben dürfen. Dazu müsste geklärt sein, ob diese Präparate nur antikonzeptiv oder auch nidationshemmend wirken, was einen erheblichen moralischen Unterschied ausmacht. 

Aus diesem Grund hat das Wiener Wissenschaftsinstitut IMABE nun eine Stellungnahme (online, 13.2.2013) veröffentlicht gemeinsam mit einer Aktualisierung der Erkenntnisse zur Wirkweise der „Pille danach“ zu Studien bis zum Jahr 2013 (online, 13.2.2013). „Es ist richtig, dass die ‚Pille danach‘ verschiedene Wirkungsweisen hat. Dies hängt davon ab, an welchem Tag des Zyklus das Präparat eingenommen wurde“, erklärt der Internist und klinische Pharmakologe, Univ.-Prof. Dr. Johannes Bonelli, Direktor von IMABE. So ist die „Pille danach“ in mehr als 90 Prozent der Fälle wirkungslos, weil zum Zeitpunkt der Einnahme aufgrund des Zyklus der Frau ohnehin keine Schwangerschaft möglich ist. 

In der von IMABE verfassten Aktualisierung der Erkenntnisse zur Wirkweise der „Pille danach“ wird festgestellt, dass die „Pille danach“, wenn sie bis zirka 2 Tage vor dem Eisprung gegeben wird, ausschließlich antikonzeptiv wirkt, kurz vor der Ovulation und knapp danach wirkt sie nidationshemmend und damit als Abtreibungsmittel, nach der Ovulation verabreicht wird die „Pille danach“ zunehmend unwirksam oder sogar schwangerschaftsschützend. Der Anteil der Anwendungsfälle der „Pille danach“ bei Vergewaltigungsopfern, in denen sie abtreibend wirkt, dürfte nach wissenschaftlich fundierten Schätzungen bei maximal 2,5 Prozent liegen. 

Der Kölner Kardinal Joachim Meisner hatte aus gegebenem Anlass die ethischen Richtlinien für eine Abgabe der „Pille danach“ festgehalten. In einer Erklärung (online, 31.1.2013) stellte Meisner klar, dass die Einnahme bzw. die Verabreichung eines Medikaments, das frühabtreibend wirkt, moralisch unerlaubt ist, da es sich dabei um unerlaubte Tötung menschlichen Lebens handle. Wenn eine „Pille danach“ dagegen die Befruchtung der Eizelle verhindert, ist dies im Fall einer Vergewaltigung sittlich erlaubt. IMABE begrüßt die klare und eindeutige Stellungnahme des Kölner Kardinals. 

Aus ethischer Sicht und auch ärztlicher Sorgfaltspflicht ergibt sich, dass sich jemand, der die Absicht hat, die „Pille danach“ nur zu verabreichen, wenn sie die Ovulation verhindert, nicht aber wenn sie abtreibend wirkt, mit Hilfe medizinischer Methoden vergewissern muss, dass sich die Frau im entsprechenden Stadium des Zyklus befindet. Ab zwei Tage vor dem Eisprung (im Fall von Ulipristal einen Tag davor), sollte die „Pille danach“ wegen ihrer nidationshemmenden Wirkung nicht mehr verschrieben werden. 

So eine Untersuchung könne relativ unaufwändig vorgenommen werden, z. B. mit Hilfe der Vaginalsonographie, die zeigt, ob ein Follikel am Ovar vorhanden ist. Auch anhand der Größe und Morphologie mit zusätzlicher Beurteilung des Endometriums könne ermittelt werden, wann der Eisprung stattfinden wird. Falls man dies mit einem LH Schnelltest ergänze, könne man mit großer Sicherheit erkennen, ob der Eisprung kurz bevor steht oder ob er erst in 2 oder mehr Tagen zu erwarten ist, heißt es in den aktualisierten Erkenntnissen. 

„Mit dieser Lösung sollte jeder Arzt einverstanden sein, der seiner ärztlichen Sorgfaltspflicht nachkommt“, hält Bonelli auch als Mediziner fest. Für katholische Krankenhäuser wäre damit ein gangbarer Weg geebnet – und sie wären Vorreiter, da Frauen sich darauf verlassen könnten, nicht unnötig ein hochdosiertes Hormonpräparat verschrieben zu bekommen. Da die „Pille danach“ in rund 90 Prozent der Fälle wirkungslos ist, weil zum Zeitpunkt der Einnahme aufgrund des Zyklus der Frau ohnehin keine Schwangerschaft möglich ist, wäre eine Vorabuntersuchung in jedem Fall angezeigt, so der IMABE-Direktor. 

Auch für jene, die eine nidationshemmende Wirkung der „Pille danach“ abstreiten, wäre die Diagnostik hilfreich, da laut ihrem Dafürhalten nach Überschreitung der 48-Stundenfrist (bei Levonorgestrel-Präparaten wie Vikela®) bzw. der 24-Stundenfrist (bei Ulipristalacetat-Präparaten wie EllaOne®) das Präparat ohnehin unwirksam ist. „Kein Arzt, der seiner Sorgfaltspflicht nachkommt, wird mit Absicht ein unwirksames Präparat verschreiben wollen“, heißt es in der IMABE-Stellungnahme.

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