Montag, 17. Januar 2011

Pränataldiagnostik: Druck zur Abtreibung?

Die Frage von Schadenersatz bei unterbliebener Abtreibung infolge fehlerhafter Pränataldiagnostik ist umstritten. Ein Entwurf des Justizressorts trägt Grundwertungen des Rechts Rechnung: Eine Verteidigung.

Linz. Der Oberste Gerichtshof (OGH) hat in Fällen, in denen ein behindertes Kind infolge fehlerhafter Pränataldiagnostik nicht abgetrieben worden ist, Schadenersatz wegen des Unterhaltsaufwands zugesprochen. Ein Entwurf des Justizministeriums will dem für die Zukunft vorbeugen. Dagegen wehren sich der Gynäkologe Prof. Peter Husslein und der Zivilrechtler Prof. Helmut Koziol („Die Presse“ vom 5. und 10. Jänner).

Wird der Embryo abgetrieben – erlaubt, unerlaubt, strafbar oder straflos – so erübrigt sich die Frage nach dem Unterhaltsaufwand und nach dem Schadenersatz. Umstritten ist die Frage des Ersatzes bei unterbliebener Abtreibung infolge fehlerhafter Pränataldiagnostik. Ein Teil des OGH gewährt Ersatz des gesamten Unterhaltsaufwandes, ein anderer nur den Ersatz des durch die Behinderung entstehenden Unterhaltsmehrbedarfs.

Delikt oder Vertragsverletzung

Dass sich bei fehlerhafter Pränataldiagnostik schon aus den allgemeingültigen Prinzipien des Schadenersatzrechts ein Ersatzanspruch ergebe – das meint wohl Husslein –, ist unrichtig. Vor allem hält der Vergleich zwischen der Schädigung eines Patienten durch einen Behandlungsfehler und der Nichtabtreibung eines Kindes infolge fehlerhafter Pränataldiagnose schon auf Sachverhaltsebene nicht stand. Im einen Fall führt der Behandlungsfehler zur Gesundheitsbeeinträchtigung oder gar zur Tötung des Patienten, im anderen zur Geburt eines Menschen. Dies sei ganz wertneutral festgestellt. Die sorgfaltswidrige Gesundheitsbeeinträchtigung oder Tötung sind unbestritten Delikte.

Der Arzt haftet unabhängig davon, ob er mit dem Patienten einen Behandlungsvertrag hat oder nicht: so auch der Spitalsarzt, wenn – wie üblich – ein Behandlungsvertrag nur mit dem Krankenhausträger besteht. Nur dieser haftet dann wegen Verletzung des Behandlungsvertrages. Steht der (niedergelassene) behandelnde Arzt selbst in einem Behandlungsvertrag zum Patienten, haftet er nicht nur aus Delikt, sondern auch wegen Vertragsverletzung. Dies alles gilt auch für die Gesundheitsbeeinträchtigung infolge einer Diagnoseverzögerung oder der sorgfaltswidrigen Nichterkennung einer Hernie.

Auch das ist Körperverletzung im Rechtssinn, weil eine (wahrscheinlich) erzielbare Heilung oder Verbesserung des Gesundheitszustands sorgfaltswidrig nicht erfolgt ist. Im Unterschied dazu geht es im Nachstehenden um nicht behebbare Defekte und um behebbare, bei denen wegen der Gefahr der Nichtbehebbarkeit eine Abtreibung vorgenommen worden wäre.

Das Nichterkennen der ernsten Gefahr, „dass das Kind geistig oder körperlich schwer geschädigt sein werde“ (vgl. § 97 Abs 1 Z 2 StGB) ist – als solches – kein Delikt und schon gar nicht die Nichtvornahme einer Abtreibung durch einen Arzt, es sei denn, der Schwangeren drohte unmittelbar eine nicht anders abwendbare Lebensgefahr (§ 97 Abs 2 StGB).

Zur Schadenersatzpflicht wegen einer pränatalen Fehldiagnose kann man nach geltendem Recht – wenn überhaupt – nur aufgrund einer Vertragshaftung kommen. Dies wieder nur dann, wenn man die Gefahr einer schweren geistigen oder körperlichen Beeinträchtigung (mit der herrschenden Meinung) als Rechtfertigungsgrund für eine Abtreibung und nicht bloß als Strafausschließungsgrund ansieht. § 97 StGB spricht im Gegensatz zum Notwehrparagrafen nur von mangelnder Strafbarkeit.

Rechtspolitischer Spielraum

Dass die Sachverhalte der Beeinträchtigung der Gesundheit oder gar Tötung infolge eines Behandlungsfehlers völlig anders geartet sind als die der Unterlassung einer Abtreibung infolge einer pränatalen Fehldiagnose – und dies nach Rang und Wert der Güter offenkundig ist –, kann den Gesetzgeber dennoch nicht daran hindern, in beiden Fällen Schadenersatz zu gewähren. In einer vom Positivismus getragenen Rechtsordnung ist im Rahmen der Verfassung ein weiter Spielraum gegeben. Bedenken bleiben aber dennoch bestehen.

Wie das Problem in Zukunft entschieden werden soll, ist in erster Linie eine rechtspolitische und nicht eine rechtsdogmatische Frage. Die Lösung wird nach den jeweiligen Wertvorstellungen des Betrachters verschieden ausfallen. Hier heißt es, Farbe zu bekennen. Nach meinen rechtspolitischen Wertvorstellungen gehört die Frage des Tragens der Unterhaltsmehrkosten für ein behindertes Kind in das Sozialrecht. Eine Gesellschaft, die zu Recht den vollen Wert auch des behinderten Menschen anerkennt, soll umfassend mithelfen, die durch Behinderung entstehenden gravierenden Mehrkosten zu tragen. Dass jemand Schadenersatz leisten soll, weil er nicht dazu beigetragen hat, die Geburt eines Menschen zu verhindern, verstößt meines Erachtens sogar gegen Grundwertungen der Rechtsordnung. Keinesfalls stellt die Haftungsfreiheit eine selektive Ausnahme von der ansonsten gegebenen ärztlichen Haftung dar, schon gar nicht eine Privilegierung.

Auch Koziol begrüßt eine sozialrechtliche Lösung. Vom (im Regierungsübereinkommen ausgesprochenen) Grundgedanken, dass selbstverständlich auch ein Kind mit Behinderungen „der Gesellschaft und der Rechtsordnung in höchstem Maße willkommen“ ist, verbietet sich ein Rückgriff auf den Arzt geradezu. Unter diesem Aspekt geht Koziols Argument, dass es nicht einzusehen wäre, warum die Allgemeinheit für die Kosten einstehen sollte, ins Leere.

Vorbeugung gegen Geburten

Koziol ruft für den Rückgriff den Präventionsgedanken zur Hilfe. Er will der mangelnden ärztlichen Sorgfalt bei der Pränataldiagnose vorbeugen. Erwägungen der „Übersorgfalt“, die zur Abtreibung gesunder Föten führt, stellt er nicht an. Dass das dem Gynäkologen unmittelbar vor Augen stehende Haftungsrisiko in der Praxis zu einer Übersteigerung bei der ärztlichen Aufklärung und zu einem unmittelbaren oder mittelbaren „Abtreibungsdruck“ und zur sogenannten „Defensivmedizin“ führt, liegt auf der Hand. Dies zu verleugnen, widerspricht aller Empirie. Das bedeutet im Zweifel: Empfehlung des Schwangerschaftsabbruches. Abgetriebene verursachen keinen Unterhaltsaufwand, einschlägige Ersatzansprüche erübrigen sich.

Da der Schadenersatz wegen eines Unterhaltsaufwandes einen reinen Vermögensschaden betrifft, könnte die Haftung wegen leichter Fahrlässigkeit auch unter Zugrundelegung von Koziols Ansicht vertraglich ausgeschlossen werden. Grobe Fahrlässigkeit und Vorsatz dürften in der Praxis wohl kaum eine Rolle spielen. Angestellte Spitalsärzte würden selbst bei fehlender Haftungseinschränkung ohnehin nur dem Krankenhausträger, und zwar im Rückgriffswege, haften. Im Regelfall käme ihnen das richterliche Mäßigungsrecht nach dem Dienstnehmerhaftpflichtgesetz zugute. Die Kosten bleiben beim Krankenhausträger und so auf Umwegen wieder bei der öffentlichen Hand. Auch niedergelassene Ärzte, die sich versichern lassen, müssten die Versicherungskosten überwälzen.

em. o. Univ.-Prof. Dr. Rudolf Reischauer lehrte Zivilrecht in Linz.

Quelle: Die Presse vom 16. Jänner 2011

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"Im ersten Moment war die Diagnose niederschmetternd"

Familie Bonfert entschied sich für ihr behindertes Kind.

St. Pölten. "Wenn mir Leon nach einem anstrengenden Arbeitstag beim Nachhausekommen in die Arme läuft und ,Papa‘ ruft, geht jedes Mal die Sonne auf", erzählt Christian Bonfert und setzt etwas nachdenklich, aber auch glücklich nach: "Das wird vermutlich länger als bei unseren anderen Kindern so bleiben." Leon ist sein vierjähriger Sohn. Der Jüngste einer fünfköpfigen Kinderschar hat einen blonden Wuschelkopf – und Trisomie 21, das Down-Syndrom. Obwohl Bonfert und seine Frau Manuela bereits in der 12. Schwangerschaftswoche wussten, dass ihr Kind vermutlich behindert ist, haben sie sich dafür entschieden. Und es "der Natur überlassen, ob es abgehen oder leben soll."

"Natürlich war die Dia-gnose niederschmetternd", so der Vater, "vor allem, weil bei der ersten Untersuchung noch alles in Ordnung war." Der Verdacht auf Trisomie 21, der auf einem Screening und einer Plazentabiopsie im Wiener AKH basierte, wurde dem Paar im Beisein einer Psychologin mitgeteilt. "Die Ärzte sagten uns, dass wir bis zur 21. Woche Zeit hätten, uns zu entscheiden – und rieten uns unterschwellig zur Abtreibung."

Hofften, dass Ärzte irren

Auch die Bonferts plagten vorerst Zweifel. Würde durch ein Kind mit Down-Syndrom, das intensiverer Betreuung bedarf, der restliche Nachwuchs zu kurz kommen? Wer kümmert sich, wenn die Eltern nicht mehr können? Und vor allem: Wie läuft ein Leben mit einem Kind mit Behinderung überhaupt ab? "Daneben war da freilich noch die tiefe Hoffnung, dass die Ärzte sich geirrt haben", sagt der Vater. Denn der Rest-Unsicherheit einer pränatalen Diagnostik sei er sich stets bewusst gewesen.

Doch schon das Gespräch mit den anderen Kindern, das noch in der Nacht nach der Diagnose erfolgte, gab den Eltern Mut. "Sie haben uns aufgefangen, sodass schnell klar war, dass das Baby nicht abgetrieben werden soll", meint Christian Bonfert. "Eigentlich war das ja von Anfang an mein Grundgedanke: Mein Kind zu nehmen, wie es ist", fügt seine Frau hinzu. Als Leon dann zur Welt kam, seien sie überglücklich gewesen – und vor allem froh, dass er keine organischen Schäden hatte, wie es bei Kindern mit Down-Syndrom oft der Fall ist.

Seit damals sind vier Jahre vergangen, und Leon besucht den Kindergarten in seiner Heimatgemeinde Alland in Niederösterreich. Hier ist er in einer Integrationsgruppe mit 14 Kindern, von denen drei einen besonderen Betreuungsbedarf haben. Leon sei sehr beliebt – mit zunehmendem Alter merke der Vater jedoch, "dass vor allem im kognitiven Bereich der Abstand zu den anderen immer größer wird." Daher soll Leon später keine Integrationsklasse, sondern eine private Sonderschule in Wien-Liesing besuchen.

In derselben Schule wird gerade seine Mutter, die 46 Jahre alt ist, zur Lehrerin ausgebildet. Dass Leon Trisomie 21 hat, war die Initialzündung, dass sie außerdem die Ausbildung zur psychosozialen Gesundheitstrainerin für Kinder mit körperlichen und geistigen Behinderungen absolviert hat. Der 50-jährige Vater ist selbständig.

Für Leon beziehen die Eltern die erhöhte Kinderbeihilfe, außerdem gab es eine Förderung vom Land. Dass anderen Eltern die Entscheidung für ein behindertes Kind allein aus finanziellen Gründen nicht so leicht gefallen wäre, ist den Bonferts bewusst. "Ich hätte vermutlich anders entschieden, wenn ich 25 Jahre alt und Leon unser erstes Kind gewesen wäre", meint der Vater. Nicht zuletzt deshalb, weil viele Beziehungen durch ein Kind mit Behinderung in Brüche gingen.

Die Frage "Warum trifft es gerade uns?" sei freilich auch ihm schon in den Kopf geschossen. Sobald Christian Bonfert seinen Sohn ansieht, sei ihm allerdings klar, dass er sich heute wie damals für sein Kind entscheiden würde.

Quelle: Wiener Zeitung vom 14. Jänner 2011

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Dienstag, 11. Januar 2011

Wunschziel "Designermenschen"?

Zur Standard-Berichterstattung über Vorzeichen einer parteiübergreifenden Zustimmung in Österreich für die Aufhebung des Verbots der Präimplantationsdiagnostik genannten Gentests an Embryonen vor einer künstlicher Befruchtung - Von Klaus Küng

Im Zusammenhang mit der Präimplantationsdiagnostik (PID) und der sehr emotionalen Debatte, die darüber derzeit in Deutschland tobt, versucht ein Artikel im Standard den Eindruck zu erwecken, dass es in Österreich längst einen breiten überparteilichen Konsens für PID gebe und nur das Justizministerium noch bremsend auf einem Verbot beharre. Soweit ich das aus meinen Gesprächen mit Politikern beurteilen kann, ist das nicht der Fall; in der Österreichischen Volkspartei gibt es etwa ein Bioethik-Papier, das sehr klar gegen PID Stellung bezieht. Und das ist gut so. Denn bei PID entscheidet sich unsere Grundhaltung zum Leben, zu den schwächeren und benachteiligten Menschen in unserer Gesellschaft. Und das geht letztendlich jeden von uns an.

Man argumentiert gerne, es ginge ja nur um einige wenige Fälle in Österreich; jene Eltern, die durch Implantation ein Kind bekämen, sollten nicht auch noch durch ein krankes und/oder behindertes belastet werden. Ganz abgesehen davon, dass neuere Studien nachweisen, wie oft mit Trisomie-21 diagnostizierte Kinder sich später "normal" entwickelt haben: Wo wird die Grenze sein? Schon jetzt richtet sich PID nicht "nur" auf Behinderungen, sondern auf mögliche, später auftretende Krankheiten.

Wir dürfen wohl davon ausgehen, dass die Gentechnik sich verbessern wird. Irgendwann wird man von der Augenfarbe bis zu möglichen Neurosen oder denkbaren späteren Alterskrankheiten viele Gründe finden, die Mehrzahl der bereits lebenden Embryonen "auszusortieren", um ein "Wunschbaby" einzupflanzen. Und dann darf sich jeder von uns fragen, ob er den PID-Test "überlebt" hätte.

Schon jetzt gibt es kaum noch Menschen mit Trisomie-21; die meisten Paare treiben das Kind nach solch einer Diagnose sofort ab. Welche Botschaft schickt die Gesellschaft hier Menschen mit Behinderungen? Wird man als Mensch im Rollstuhl in einigen Jahren gefragt werden, ob man "bei der PID übersehen" wurde?

Die Präimplantationsdiagnostik stellt die entscheidende Frage: Ist Platz in unserem Land für alle Menschen, alles Leben, oder wird in einigen Jahren das Straßenbild von in jeder Hinsicht designten Kindern und Erwachsenen beherrscht werden? - Vor so einer Gesellschaft hätte ich Angst.

Quelle: Der Standard vom 7. Jänner 2011

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Behinderte Menschen können doch kein Schadensfall sein

Zur Diskussion über die von der Justizministerin angestrebte Änderung des Schadenersatzrechts. Eine Replik auf Prof. Körtner.

Ulrich Körtner, Mitglied der Bio-Ethikkommission im Bundeskanzleramt, drückt in seinem Kommentar „Kein Meilenstein, sondern ein populistischer Hüftschuss“ („Presse“, 21.12. 2010) seine Vorbehalte gegenüber der Gesetzesinitiative der Justizministerin aus. In einem Nebensatz lässt er jedoch sein Unbehagen über das derzeitige Schadenersatzrecht durchklingen, wenn er schreibt: „Man stelle sich Eltern vor, die ihrem Kind erklären: Wir bekommen Geld für dich, weil wir dich aufgrund einer Fehldiagnose nicht abtreiben konnten.“

Das ist der Punkt, warum sich behinderte Menschen durch die derzeitige Regelung diskriminiert fühlen. Sie werden zu Schadensfällen erklärt. Es ist daher höchst verwunderlich, dass sich einige Mitglieder der Ethikkommission wie Ulrich Körtner oder Christiane Druml trotzdem gegen die vorgeschlagene Änderung im Schadenersatzrecht aussprechen.

Christiane Druml meinte am 21.12.2010 in der „Zeit im Bild 2“ sogar, der „Schaden sei der Aufwand, für den Unterhalt eines Kindes zu sorgen“. Damit meint sie wohl, dass nicht nur der behinderungsbedingte Mehraufwand, sondern die gesamten Unterhaltskosten zu ersetzen seien. Wo bleiben da die Freude und das Glück eines Menschen, dessen gesamte Existenz von Gerichts wegen zum Schadensfall erklären wurde?

Unerträgliche Situation

Ich kenne beispielsweise viele behinderte Menschen, die ein glückliches, zufriedenes und integriertes Leben inmitten der Gesellschaft führen. Es ist fraglich, welcher Moral und Ethik sich jene verpflichtet fühlen, die das gesamte Leben eines behinderten Menschen zum Schadensfall degradieren. Speziell das Kärntner OGH-Urteil, demzufolge einer Mutter für das unerwünscht geborene behinderte Kind der gesamte Lebensunterhalt zugesprochen worden ist, stellt für behinderte Menschen eine Diskriminierung dar, die Druml offenbar prolongieren möchte.

Die derzeitige Situation ist unerträglich: Um Geld für das behindert geborene Kind zu bekommen, sind Eltern gezwungen zu erklären, dass sie ihr Kind abgetrieben hätten, wenn sie von der Behinderung gewusst hätten. Eltern, die bei Gericht nicht eine Klage einbringen, sondern zu ihrem behinderten Kind stehen, werden finanziell benachteiligt.

Gesellschaftlich wertende Richter

Zudem stellen die OGH-Urteile der letzten Jahre eine gesellschaftliche Wertung durch die Richter dar, die ihnen nicht zusteht: Bei einem unerwünscht geborenen behinderten Kind wurde immer Schadenersatz zugesprochen, bei einem unerwünscht geborenem, nicht behindertem Kind jedoch nicht. Obwohl dies, wie im Falle einer Zeugung trotz Sterilisation, einen klassischen ärztlichen Behandlungsfehler darstellt.

Die Bundesregierung hat daher in der Regierungserklärung festgehalten, dass die Geburt eines behinderten Kindes keinen Schadensfall darstellen kann, und eine Enquete zum legislativen Handlungsbedarf festgelegt. Die Expertenrunde, bestehend aus Juristen, Richtern, Ethikern und behinderten Menschen sowie deren Vertretungsorganisationen, kam eindeutig zum Schluss, dass das Schadenersatzrecht geändert werden sollte.

Gleichzeitig haben sich die Experten für einen gerechteren Ausbau der Sozialleistungen für behindert geborene Kinder ausgesprochen. Es braucht mehr Unterstützung von Eltern, die ein behindertes Kind zur Welt bringen. Das ist der zweite wichtige Schritt, der jetzt unter Einbeziehung aller Beteiligten, vor allem auch der Ärzte, der Länder und des Bundes folgen muss. Anzustreben ist ein Unterstützungsfonds, der Hilfeleistungen bei der Geburt von behinderten Kindern zur Verfügung stellen soll. Egal, ob die Behinderung vorgeburtlich diagnostizierbar war oder nicht. Nur zwei bis drei Prozent aller Behinderungen sind vorgeburtlich überhaupt feststellbar.

Professor Körtner irrt

Wenn Ulrich Körtner schreibt, dass „die embryopathische Indikation im österreichischen Strafgesetzbuch nicht in einem diskriminierenden Werturteil zwischen behinderten und nicht behinderten Kindern begründet ist“, da es nicht um die Behinderung des Kindes, sondern um die Situation der Frau geht, so irrt er. In §97 StGB (1) Abs.2 heißt es, dass eine Abtreibung über die Dreimonatsfrist hinaus gerechtfertigt ist, wenn „das Kind geistig oder körperlich schwer geschädigt sein werde“.

Im deutschen StGB wird nicht Bezug auf die Behinderung des Kindes genommen, sondern ausschließlich auf die Konfliktsituation der Frau: „Der mit Einwilligung der Schwangeren von einem Arzt vorgenommene Schwangerschaftsabbruch ist nicht rechtswidrig, wenn der Abbruch der Schwangerschaft unter Berücksichtigung der gegenwärtigen und zukünftigen Lebensverhältnisse der Schwangeren nach ärztlicher Erkenntnis angezeigt ist, um eine Gefahr für das Leben oder die Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Gesundheitszustandes der Schwangeren abzuwenden, und die Gefahr nicht auf eine andere für sie zumutbare Weise abgewendet werden kann.“

Während man in Deutschland die embryopathische Indikation als eine Diskriminierung für behinderte Menschen gestrichen hat, ist sie in Österreich noch immer geltendes Recht.

Quelle: Die Presse, 11. Jänner 2011

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