Montag, 14. Januar 2013

Behandlungsfehler: Patienten sind das „erste“, Ärzte das „zweite Opfer“

Fehlerkultur aufbauen: Vertrauen schaffen, um aus Schiefgelaufenem zu lernen

Laut einer aktuellen Studie begehen amerikanische Chirurgen jährlich mehr als 4.000 vermeidbare Behandlungsfehler (vgl. Pressemitteilung, online 19. 12. 2012). Studienleiter Marty Makary von der Johns Hopkins Universität nannte unter den häufigsten vermeidbaren Zwischenfällen Objekte, die im Körper des operierten Patienten vergessen wurden, falsche Behandlung sowie Operation an der falschen Seite. Zwischen 1990 und 2010 dürfte es mindestens 80.000 solcher Fehler gegeben haben, berichten die Forscher im Fachjournal Surgery (doi:10.1016/j.surg.2012.10.005). Manche Komplikationen während der Behandlung seien unvermeidbar, räumen die Autoren ein, doch die genannten Vorkommnisse seien sämtlich vermeidbar. Der Preis für die Gesundheitskosten ist hoch: Im Zeitraum von 20 Jahren gab es 9.744 Verurteilungen mit Kosten in Höhe von 1,3 Milliarden Dollar. Bei 6,6 Prozent der Patienten trat der Tod ein, in 32,9 Prozent kam es zu bleibenden, in 59,2 Prozent zu temporären Schäden. Markary, selbst Chirurg, betont, dass man u. a. bessere Pläne mit höherer Verlässlichkeit brauche, um Behandlungsfehler zu vermeiden. 

Doch nicht nur für Patienten kann ein Behandlungsfehler eine Katastrophe bedeuten. Auch Ärzte sind nach einem Vorfall großen emotionalen und psychischen Belastungen ausgesetzt: Sie werden zum „zweiten Opfer“, wie Albert Wu, Direktor des Center for Health Services and Outcomes Research von der Johns Hopkins Universität es ausdrückte. In einem im Deutschen Ärzteblatt (2012; 109(51–52): A 2574–8) veröffentlichten Tagungsbericht betont Wu, dass der Arzt als Verursacher oder als jener, der sich schuldig fühlt, Gefahr läuft, ohne emotionale Hilfestellung psychisch Schaden zu nehmen. Der Mediziner beobachtete selbst, wie ein junger Kollege, der einen Herzbeutelerguss nicht erkannte, von seinem ärztlichen Umfeld als inkompetent abgeurteilt wurde, was den Jungmediziner so verunsicherte und emotional stark belastete, dass er nur mit Mühe weiterarbeiten konnte. 

Nicht nur deshalb müsse das Schweigen in den Krankenhäusern selbst gebrochen werden, meint Günther Jonitz, Präsident der Berliner Ärztekammer und Gründungsmitglied des Aktionsbündnisses Patientensicherheit. „Das oberste Ziel auf dem Weg zu mehr Patientensicherheit ist eine Fehlerkultur, in der der Arzt keine Angst hat zu sagen, wenn etwas schief- oder beinahe schiefgegangen ist“, sagt der Chirurg. 

Einen umfassenden Überblick über die Problematik und die Zielsetzungen einer effektiven Fehlerkultur nach den Anforderungen heutiger moderner Gesundheitseinrichtungen finden sich in Imago Hominis 1/2011 mit dem Schwerpunkt Fehlerkultur in der Medizin.

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Studie: Epigenetische Veränderungen erhöhen Krankheitsrisiko bei IVF-Kindern

Wissenschaftler fordern intensivere Erforschung der Folgen der künstlichen Befruchtung

Die jüngste Auswertung der britischen Millennium Cohort Study, die in Human Reproduction (doi: 10.1093/humrep/des398) publiziert wurde, zeigt, dass im Reagenzglas gezeugte Kinder im Alter von fünf Jahren zwei bis vier Mal häufiger unter Asthma leiden als ihre natürlich gezeugten Altersgenossen. 

In der prospektiven Studie sind über 18.000 Kinder aus ganz Großbritannien eingeschlossen, die alle zwischen den Jahren 2000 und 2002 geboren wurden. Zu den Kindern liegen detaillierte Angaben u. a. zu Asthmasymptomen und Asthmamedikamenten vor. Studienleiterin Claire Carson von der University of Oxford und ihre Kollegen haben aufgrund umfangreicher Daten das Asthmarisiko der Kinder berechnet. Wie die Analyse nun zeigt, hatten Kinder, deren Zeugung länger als ein Jahr auf sich warten ließ – dies gilt als Zeichen einer verminderten Fruchtbarkeit –, insgesamt ein höheres Asthmarisiko als Kinder von normal fertilen Eltern. Für Kinder, die auf natürlichem Weg gezeugt wurden und deren Mutter allenfalls eine hormonelle Stimulation hatte durchführen lassen, war der Unterschied allerdings gering. Das bedeute, so Carson, dass die errechnete Risikoerhöhung vor allem durch die IVF-Kinder bedingt sei. Die Frage nach einer kausalen Beziehung sei damit aber noch nicht geklärt, räumt die Epidemiologin ein. 

Der Schweizer Kardiologie Urs Scherrer vom Inselspital Bern betrachtet die Ergebnisse der britischen Korrelationsstudie skeptisch. Allerdings fordert auch er angesichts eigener Studien verstärkte Untersuchungen und genaue Information zur langfristigen Gesundheit nach künstlicher Befruchtung, die auch aus ethischer Sicht geboten seien. In einer in Circulation (2012; 125: 1890-1896) publizierten Studie ging Scherrer der Frage nach, ob die In-vitro-Fertilisation das Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen erhöht. Die epigenetische Veränderung der Regulation von Genen kann Krankheiten begünstigen. Das Ergebnis seiner Studie: Von 122 im Schnitt 12 Jahre alten Kindern hatten die 65 IVF-Kinder im Vergleich mit den 57 auf natürlichem Weg Entstandenen eine steifere Arm-Arterie, und ihre Halsschlagader war verdickt. Zudem war ihr Blutdruck im Lungenkreislauf bei reduziertem Sauerstoffdruck erhöht. Dafür, dass diese signifikant pathologischen Veränderungen mit dem Verfahren der IVF und nicht mit anderen Faktoren zusammenhängen, gibt es laut Scherrer gute Argumente. So zeigte sich eine gestörte Gefäßregulation nur bei Kindern nach IVF. Normal gezeugte Geschwister von IVF-Kindern waren dagegen frei davon. Und auch Kinder, deren Mütter sich «nur» hormonell stimulieren ließen, schnitten bei den Tests unauffällig ab. 

Für Scherrer sind diese Ergebnisse laut NZZ (online 12. 12. 2012) „potenziell beunruhigend“ – und das gleich mehrfach. Da kardiovaskuläre Erkrankungen sehr häufig seien, wäre schon eine geringe Risikoerhöhung bedeutsam, warnt der Kardiologe. Zudem dürften epigenetische Phänomene, die auch vererbt werden können, bei der Krebsentstehung eine Rolle spielen. Scherrer fordert deshalb eine prospektive Kohortenstudie, die die lebenslangen Auswirkungen der In-vitro-Fertilisation untersucht.

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Euthanasie: Wohin steuert Europas Gesetzgebung?

Breite Proteste gegen die Legalisierung des assistierten Suizids

Die Alterung der Bevölkerung nimmt zu, ein kommender Notstand beim Pflegepersonal wird prophezeit – und zeitgleich wird in mehreren Staaten eine heiße Debatte über die Frage der Legalisierung der Euthanasie und des sogenannten assistieren ärztlichen Suizids geführt, berichtet die internationale Plattform Euthanasia Prevention Coalition (EPCC). Die EPCC mit Sitz in London wurde 1999 von Alex Schadenberg als Netzwerk für Organisationen gegründet, die sich klar gegen ein vermeintliches Recht auf Tötung aussprechen. 

Sollen nicht-gewerbsmäßige Sterbehilfe-Vereine auch bald in Deutschland tätig werden dürfen? In den Niederlanden (vgl. Februar 2012: Euthanasie: Holland bietet „ambulante Todesteams“ und „Lebensende-Klinik“) und in der Schweiz ist dies bereits gelebte Praxis. So ermöglicht der Schweizer Verein Dignitas Kranken (und auch Nichtkranken, vgl. Juli 2009: Sterbetourismus: Britische „Klienten“ bei Dignitas sind keine Terminalpatienten) todeswilligen Menschen den Freitod, sofern sie zahlende Mitglieder des Vereins sind. 

Wenn es nach dem Regierungsentwurf der FDP-Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger geht – er sollte Ende Jänner den Bundestag passieren – wären derartige Organisationen in Deutschland nicht verboten. 

Doch inzwischen gehen die Wogen hoch. Bundesärztekammer, Hospizverbände, Kirchen und zahlreiche NGOs setzen sich seit Wochen gegen die geplante Reform des § 217 StGB ein. Rückenwind bekommen sie u. a. von Seiten der CDU, für die das „Sterbehilfe-Gesetz“ zu einer Belastungsprobe für die Koalition mit der FDP zu werden scheint. 

CDU-Vizechefin Julia Klöckner kritisiert in einem Interview in der Welt (online 12.12.2012) den Entwurf scharf: „Würde dieses Gesetz beschlossen, wäre es auch ein Zeichen des Abschiedes von der Humanität.“ Für sie ist der Entwurf eine „Scheinlösung“: „Darin soll nur die 'gewerbsmäßige Sterbehilfe' verboten werden. Aber die Sterbehilfeorganisationen wissen bereits, dass sie als offen kommerzielle Unternehmen keine Chance hätten. Sie tarnen sich also als Vereine oder sogar gemeinnützige Organisationen, die keine Rechnungen schreiben, sondern Mitgliedsbeiträge erheben. Der Entwurf der Bundesregierung nimmt diese Organisationen nicht in den Blick.“ Klöckler wirft der Justizministerin vor, dass hier offenbar Verhältnisse wie in der Schweiz und den Niederlanden salonfähig gemacht werden sollen. „Das halte ich für hochproblematisch. Der jetzt vorliegende Gesetzesentwurf kann demnach im wahrsten Sinne des Wortes lebensgefährlich sein.“ 

In Belgien, wo die Euthanasie seit 2002 legal ist, soll nach einem Vorschlag der Sozialisten die Möglichkeit der Sterbehilfe auch für Minderjährige und Alzheimer-Patienten ins Auge gefasst werden (vgl. Deutsches Ärzteblatt, online 18.12.2012). 

In Frankreich gab es zahlreiche Proteste (vgl. Alliance Vita) gegen das Vorhaben des sozialistischen Präsidenten Francois Holland, den assistieren Suizid in Frankreich zu legalisieren. Am 13. Jänner 2013 fand eine Massendemonstration in Paris statt, bei der 800.000 Bürger für den Schutz des Lebens und der Familie protestierten. 

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat inzwischen einen Einspruch eines Braunschweigers abgewiesen, der Deutschland geklagt hatte, weil die Behörden die nötigen tödlichen Medikamente verweigert hatten, die seiner Frau den Suizid ermöglicht hätten (vgl. Deutsches Ärzteblatt, online 19. 12. 2012).

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Kommunikation: Worte können verletzen – oder heilen

Neue Broschüre für Ärzte für „heilsame“ Kommunikation bei der Diagnose Krebs

Jährlich erkranken rund 40.000 Menschen in Österreich an Krebs, Tendenz steigend. Seit 1983 hat die Anzahl der jährlichen Neuerkrankungen um rund 20 Prozent zugenommen. Welche Rolle dabei die richtige Kommunikation zwischen Ärzten und ihren Patienten spielt, zeigt eine neu erschienene Broschüre der Techniker Krankenkasse (TK) mit dem Titel Heilsame Kommunikation, die sich an praktizierende und angehende Mediziner richtet (vgl. TK-Pressemitteilung, online 19. 12. 2012). 

Behandelnde Ärzte dafür zu sensibilisieren, wie Patienten sie verstehen und welche Konsequenzen dies haben kann, ist ein Anliegen dieser Broschüre. Verfasst wurde sie von Annette Rexrodt von Fircks, die selbst an Brustkrebs erkrankt ist. „Ein gutes Gespräch zwischen Arzt und Patient dauert genauso lange wie ein schlechtes.“ Mehr als zehn Jahre nach ihrer eigenen Diagnose beschreibt die Autorin ihre Erfahrungen und reflektiert die Gespräche mit Ärzten, Operateuren und Krankenpflegern. Daraus leitet sie Schlüsse und Ratschläge ab, die nicht belehren, sondern Denkanstöße für die eigene medizinische Praxis mitgeben sollen: Dass Worte nicht nur verletzen, sondern auch heilen können, zeigen inzwischen auch Studien, die sich mit der Compliance von Therapien befassen. Die Autorin erläutert anhand praktischer Beispiele, dass es manchmal nur Kleinigkeiten sind, die aus Patientensicht über Erfolg und Misserfolg eines Gespräches entscheiden. Es kommt nicht nur darauf an, was ein Arzt seinem Patienten sagt, sondern auch darauf, wie er es ihm sagt.

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Abtreibung: Tötung weiblicher Föten auch in Europa verbreitet

EU-Politiker fordern Kampf gegen Genderzid, Abtreibung ist kein Menschenrecht

Dass in Indien und China Millionen Frauen fehlen, weil sie abgetrieben wurden, ist bekannt. Der aktuelle UNFPA-Report Sex Imbalances at birth: Current Trends, Consequences and Policy Implications, August 2012 spricht davon, dass selektive Abtreibungen und Kindesmorde in Asien 117 Millionen Mädchenleben gekostet hätten. Allein China und Indien seien für 85 Millionen verhinderte Frauenleben verantwortlich, trotz Wirtschaftsboom. In China liegt das Verhältnis zwischen Buben und Mädchen bei 118 zu 100, in einigen Gegenden kommen sogar schon über 130 Buben auf 100 Mädchen. Ein normales Geschlechterverhältnis liegt laut WHO bei 102 bis 106 Buben zu 100 Mädchen.

Inzwischen kann es offenbar auch in Europa und im benachbarten Kaukasus für ein Ungeborenes ein todbringender Makel sein, weiblich zu sein. In Armenien und Aserbaidschan kommen auf 100 Mädchen derzeit etwa 115 Buben zur Welt, in Albanien sind es nach den gerade erst veröffentlichten Geburtenstatistiken 112 Buben – das sind in etwa indische Zustände. Auch in Albanien, wo seit dem Fall des Kommunismus Abtreibung bis zur 12. Schwangerschaftswoche straffrei ist, gelten Buben kulturell mehr als Mädchen. Laut Demografieexperte Christopher Guilmoto vom Pariser Forschungsinstitut für Entwicklung (IRD) steht Albanien in Europa an der traurigen Spitze, gefolgt von drei weiteren Länder des Balkans: Kosovo (110 Buben), Montenegro (109 Buben) und Mazedonien. Die drei letztgenannten Länder sind EU-Beitrittskandidaten. 

Es ist paradox, aber der medizinische Fortschritt führte dazu, dass Eltern sich den traditionellen Wunsch nach Buben erfüllen können und Mädchen diskriminiert werden. Das Absurde sei, sagt die Grünen-Europaabgeordnete Franziska Brantner, dass die EU die Familienplanung in China kritisieren dürfe, weil China als Entwicklungsland gelte. Das sei bei den Balkanländern, mit denen die EU verhandelt, anders. Hier falle Abtreibung in den Bereich der Gesundheitspolitik – und nicht der Menschenrechtspolitik. „Die EU kann politisch Druck machen, rechtlich hat sie gegen die Beitrittskandidaten mit zweifelhafter Abtreibungspolitik aber keine Handhabe“, kritisiert Brantner, berichtet die Süddeutsche Zeitung (online 1. 1. 2013). Das könnte sich ändern, denn im Frauenausschuss des Europäischen Parlamentes wächst die Empörung. 

Innerhalb der Europäischen Union ist die Praxis offenbar weiter verbreitet als bisher angenommen. Im Oktober 2012 wurde ein dänischer Abtreibungstourismus zum Nachbarn Schweden publik (vgl. diestandard, online 22. 10. 2012). In Dänemark gilt die Fristenregelung bis zu 12. Woche. Zahlreiche Däninnen waren zur Abtreibung über die Grenze gereist, als sie etwa in der 14. Woche erfahren hatten, dass sie ein Mädchen erwarteten. Schweden hatte 2009 entschieden, dass die geschlechtsselektive Abtreibung bis zur 18. Woche erlaubt sei (vgl. Imabe-Newsletter Juni 2009). Auch aus den Niederlanden und Belgien gebe es, so EU-Frauenpolitikerinnen, Berichte über den Trend „Bitte nur kein Mädchen“, ebenso in Großbritannien (April 2012: Skandale um Abtreibungspraxis brechen nicht ab) und Kanada (Februar 2012: Ärzte wehren sich gegen Abtreibung weiblicher Föten). 

„In Ländern, die seit Jahrzehnten eine laxe Abtreibungspraxis akzeptiert haben, ist die Selektion nach dem Geschlecht wohl nur die Spitze des Eisberges“, sagt IMABE-Geschäftsführerin Susanne Kummer. Es sei schwer vermittelbar, einerseits mit der Nicht-Diskriminierung bei Frauen zu argumentieren und zugleich die Diskriminierung von Behinderten, die in Österreich bis zur Geburt abgetrieben werden dürfen, zuzulassen, kritisiert die Ethikerin. Der frauenfeindliche Genderzid sollte daher Anstoß für eine tiefere gesellschaftliche Debatte über den Wert und die Würde jedes Menschen in jeder Lebensphase sein, fordert Kummer.

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