Freitag, 21. September 2012

Presseerklärung zu möglicher Novellierung des Fortpflanzungsmedizingesetzes

"Das Recht, ungetestet geboren zu werden"

Wien, 21.9.2012. Die Debatte darüber, wie ungewollt kinderlosen Paaren geholfen und welche Techniken dafür in Österreich künftig erlaubt sein sollen, läuft Gefahr, blind die Fehler anderer Länder zu wiederholen. Die von der Mehrheit der Mitglieder der Bioethikkommission (BEK) veröffentlichte Empfehlung für ein neues Fortpflanzungsmedizingesetz wäre ein großer Rückschritt. IMABE begrüßt dagegen die davon abweichende Stellungnahme einiger BEK-Mitglieder, die klar für höhere ethische Standards eintreten.

Der umstrittene Gencheck an Embryonen im Reagenzglas, die Präimplantationsdiagnostik (PID), soll Eltern, die sich ein Kind wünschen bzw. neuerdings, so der Vorschlag der Liberalisierungsbefürworter, auch Frauen ohne Partner oder lesbische Paare in ihrer Autonomie stärken. Es sei ihre ganz persönliche Entscheidung, ob sie aus einer Zahl von zuvor mehreren hergestellten Embryonen jene aussortieren lassen wollen, die möglicherweise „problematisch“ sind, weil mit einem Risiko-Gen bzw. möglichen Krankheiten aufgrund von Chromosomenanomalien behaftet. Ein gesundes Kind soll es sein – das ist ein verständlicher Wunsch. Doch wie hoch darf der Preis sein? Wer darf dann noch ungetestet ins Leben?

Der Wunsch nach einem gesunden Kind ist verständlich. Diesem aber mit allen – auch ethisch nicht rechtfertigbaren – Mitteln nachzugeben, fördert eine gesellschaftlich unrealistische Haltung, aus der heraus ein Anspruchsdenken nach dem Null-Fehler-Baby oder Wunsch-Baby wächst. Dieser Trend lässt sich in Ländern, in denen PID erlaubt ist, klar beobachten. Es ist nicht zu übersehen, dass Ärzte aus Angst vor Schadensersatzklagen schon jetzt Frauen zu allen nur möglichen Tests raten, um sich selbst abzusichern. Die Entwicklungen sind absehbar: Könnte nicht, wer mit 40 Jahren an Brustkrebs erkrankt, darauf verweisen, dass es zum Zeitpunkt seiner Zeugung schon genetische Tests gegeben hat?

Die Mehrheit der BEK-Mitglieder fordert die Erlaubnis der PID nicht in engen Grenzen, sondern auch nach mehreren erfolglosen IVF-Versuchen, um die Schwangerschaftsraten zu erhöhen. Dies widerspricht jüngsten wissenschaftlichen Daten. Vier von fünf ungewollt kinderlosen Frauen, die sich einer künstlichen Befruchtung unterziehen, bleiben auch nach mehreren belastenden IVF-Versuchen kinderlos. Die sogenannte Baby-Take-Home-Rate liegt bei niedrigen 15 bis 20 Prozent – auch dann, wenn die PID durchgeführt wurde, so die Daten der Europäischen Gesellschaft für Humanreproduktion und Embryologie (ESHRE). In der Scientific Community wurde offene Kritik geäußert, dass trotz fundierter wissenschaftlicher Erkenntnisse das PID-Screening wider besseres Wissen routinemäßig im klinischen Umfeld eingesetzt wird (vgl. Reproductive BioMedicine Online, 8/2012)
. Kommerzielle Erwägungen, heißt es, spielten darin eine nicht unbedeutende Rolle.

Auch der Markt des Eizellenhandels, der Leihmutterschaft (die kommen muss, sobald das erste Homo-Männerpaar auf Gleichberechtigung pocht und via Eizellenspende und Leihmutter eben auch zu einem Kind kommen will) wird in Österreich Einzug halten. Viele Fragen und Fakten werden dabei unter den Tisch gekehrt: Wer erzählt von den Zig Selbsthilfegruppen leidgeprüfter Kinder von unbekannten Pipetten-Vätern und Leihzellmüttern – auf der Suche nach ihrer genetischen Identität? Von gesundheitlichen Schäden nach hormoneller Überstimulation von Frauen zwecks Abernten von Eizellen – für sich oder andere? Von genetisch maßgeschneiderten Retortenbabys, die als lebendes Ersatzteillager dienen?

Der zivilgesellschaftliche Preis, der aus den Liberalisierungsempfehlungen folgt, ist hoch. Es zählt zu den fundamentalen Schutzpflichten des Staates, schon die Erzeugung von Embryonen zu verbieten, die in diskriminierender Weise „aussortiert“ werden sollen. Wer dieses Prinzip zugunsten einer fragwürdigen Eugenik aufgibt, unterhöhlt die Grundlagen der Demokratie.

IMABE sieht eine Chance, dass Österreich ein Vorzeigeland hoher ethischer Standards werden könnte, wenn es aus Fehlern anderer lernt. Eine Novellierung des Fortpflanzungs-medizingesetzes im Sinne einer Ausweitung der Techniken, Indikationen oder Personen-konstellation wäre dagegen ein Rückschritt in der Frage des Schutzes der Menschenwürde und des Kindeswohls.

Weiterführende Informationen und Stellungnahmen von IMABE, Wien:

1. Stellungnahme zum Vorschlag zur Liberalisierung des Fortpflanzungsmedizingesetzes, 24.4.2012

2. Stellungnahme zur Präimplantationsdiagnostik – Fakten und Daten, 2.12.2011

3. Stellungnahme zur Empfehlung der Bioethikkommission für eine Liberalisierung der Stammzellenforschung, 23.3.2009

4. Stammzellen – Fakten und Daten, Juni 2009

Quelle: IMABE

Montag, 17. September 2012

IMAGO-HOMINIS-Vorschau: Klinische Ethik

Die Bioethik hat in den vergangen Jahrzehnten eine Bandbreite an Konzepten entwickelt, um im klinischen Kontext konkrete Hilfestellungen bei schwerwiegenden Fragen, Problemen und Konflikten bieten zu können. Die Autoren der kommende Ausgabe von Imago Hominis mit dem Schwerpunkt „Klinische Ethik“ zeigen praxisnahe, wie sich ethische Fragestellung in der Praxis bewältigen lassen. Wir bedanken uns an dieser Stelle bei Jürgen Wallner, Personalvorstand und Leiter der Ethikberatung am Krankenhaus der Barmherzigen Brüder in Wien, der diese Ausgabe von Imago Hominis als Gastherausgeber inhaltlich begleitet hat.
Angesichts der zahlreichen ethischen Herausforderungen, die sich im klinischen Alltag den Handelnden stellen, zeigt Jürgen Wallner in seinem Beitrag auf, wie eine systematische Unterstützung in der Klinischen Ethikberatung aussehen kann.
Klaus Kobert (Klinischer Ethiker, Ev. Krankenhaus Bielefeld) legt in einem Artikel über die Rolle der Angehörigen im ethischen Fallgespräch dar, wie eine ethische Fallbesprechung konkret konzipiert werden kann. Kobert liefert überzeugende Argumente, dass und wie Angehörige in die ethische Fallbesprechung einbezogen werden sollten, weist aber auch darauf hin, dass dies nicht immer der Fall sein muss.
Kurt Lenz (Vorstand der Internen Abteilung, Konventhospital Barmherzige Brüder Linz) behandelt die wichtige Frage der Therapiebegrenzung und zeigt auf, welche grundlegenden Begriffe und Prozesse es bei Entscheidungen für eine Begrenzung oder Zurücknahme kurativ ausgerichteter Therapiemaßnahmen aufgrund fehlender Indikation oder ablehnenden Patientenwillens zu beachten gilt.
Entscheidungen zur Therapiebegrenzung werden von vielen Beteiligten als besonders schwierig erfahren, wenn es sich beim Patienten um ein Kind handelt. Alfred Dilch (Neonatologie und Intensivstation, G. von Preyer´sches Kinderspital, Wien) erörtert, wie solche Entscheidungsprozesse in der Pädiatrie gestaltet werden können. Ausgangspunkt ist die Frage, was die ethischen Kernprinzipien von Fürsorge, Nicht-Schaden und Respekt vor der Selbstbestimmung im Kontext der Pädiatrie bedeuten können.
Ein medizinischer Fachbereich, der selten mit Problemen der klinischen Ethik verbunden wird, ist jener der Orthopädie. Dass man dies durchaus anders sehen kann, erläutert Walter Strobl (Neuroorthopädie Abteilung für Orthopädie des Kindes- und Jugendalters, Orthopädisches Spital Wien-Speising der Vinzenz Gruppe) in der Frage der Verbesserung der Lebensqualität bei schwerstbehinderten Patienten. Er zeigt, wie Therapieentscheidungen bei Patienten mit schweren neuroorthopädischen Erkrankungen, die für den Betroffenen meist eine lebenslange Einschränkung bedeuten, getroffen werden können.
Michael Peintinger (Anästhesie, Krankenanstalt Göttlicher Heiland, Wien) liefert mit seinem Erfahrungsbericht über die Befassung mit den Patientenverfügungen im Alltag einen Einblick in die Handhabung antizipierter Willenserklärungen im Krankenhaus aus erster Hand.
Eine Vorschau der Imago-Hominis-Ausgabe 3/2012 mit dem Schwerpunkt „Klinische Ethik“ findet sich auf http://www.imabe.org/index.php?id=1522, das Einzelheft kann um 10 Euro bezogen werden.

Quelle: IMABE-Newsletter September 2012

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Public Health: Österreicher wissen zu wenig über Gesundheit

Kompetenz deutlich unter EU-Schnitt - Nachteilig für Lebensführung

Geht es um Kompetenz für die eigene Gesundheit, ist es um Herrn und Frau Österreicher schlechter bestellt als um Bürger vieler anderer EU-Länder. Das zeigen die Ergebnisse des European Health Literacy Survey (HLS-EU), der in acht EU-Mitgliedstaaten (Bulgarien, Deutschland, Griechenland, Irland, Niederlande, Polen und Spanien und Österreich) durchgeführt wurde. Als österreichischer Kooperationspartner der Universität Maastricht fungierte das Ludwig Boltzmann Institut Health Promotion Research. Österreich schnitt gegenüber den Vergleichsländern mit insgesamt nur 43 Prozent Anteil an den beiden besten Niveaus ähnlich schlecht ab wie Bulgarien (38 Prozent) und Estland (42 Prozent), während Deutschland mit 54 Prozent immerhin knapp über dem EU-Schnitt (52 Prozent) rangiert und die Niederlande mit 71 Prozent den Spitzenplatz einnehmen.

Pro teilnehmendem Land wurden 1000 Personen zu ihrer Gesundheitskompetenz befragt. „Wie schwer fällt es Ihnen, Ihren Arzt zu verstehen? Die Vertrauenswürdigkeit von Medienberichten über Krankheiten zu überprüfen? Gesundheitsbezogene Informationen zu lesen und zu verstehen?“ Mit solchen, insgesamt 50 Fragen zur „Fitness des Gesundheitswissens“ („health literacy“) machten die Forscher die Kompetenz der Menschen fest, in Österreich wurden noch ergänzend 1.800 Menschen in den Bundesländern sowie an die 500 Jugendlichen befragt, um etwaige regionale oder altersbedingte Unterschiede zu erkennen. Als „ausreichend“ oder „exzellent“ wurde die Kompetenz dann eingestuft, wenn man zumindest 33 der Situationen gut meisterte.

Österreichs Bundesländer stellten sich sehr heterogen dar, mit Top-Werten in Vorarlberg und im Burgenland, niedrigen hingegen in Wien oder der Steiermark. Allgemein sinkt mit steigendem Alter die Kompetenz, wobei in Österreich auch Jugendliche nur unterdurchschnittlich abschnitten, berichtet pressetext (online, 14.8.12).

Die Bedeutung dieser Zahlen für die Lebensführung sei nicht zu unterschätzen, betont Studienleiter Jürgen Pelikan. „Je kompetenter man sich in der Gesundheit sieht, desto besser schätzt man die eigene Gesundheit ein. Man betreibt häufiger Sport und hat einen signifikant geringeren Body-Mass-Index, wenngleich es beim Rauchen und Alkoholkonsum kaum Unterschiede gibt“, berichtet der Soziologe. Auch die Zahl der Spitalsaufenthalte, der Arztbesuche und der Inanspruchnahme medizinischer Notfalldienste nimmt mit steigender Kompetenz ab. Die Vorreiterrolle der Niederlande begründet Pelikan durch eine „andere Alterspolitik“ sowie etablierte Systeme der Qualitätssicherung, die etwa auch die Arzt-Patienten-Kommunikation umfasst.

Quelle: IMABE-Newsletter September 2012

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Studie: Erhöhtes Risiko für Frühgeburten nach Schwangerschaftsabbrüchen

Gesundheitsexperten sollten über mögliche Risiken bei wiederholten Abtreibungen informieren

Abtreibungen führen zu keinen längerfristigen Schäden, wenn sie medizinisch richtig durchgeführt werden, heißt es. Dem stehen nun die Ergebnisse einer finnischen Beobachtungsstudie entgegen. Die in Human Reproduction (2012 doi: 10.1093/humrep/des294) publizierte Studie zeigt, dass Frauen, die nach drei oder mehr Schwangerschaftsabbrüchen ihr erstes Kind auf die Welt bringen, dieses einem erhöhten Komplikationsrisiko aussetzen.

Die Wissenschaftler vom National Institute for Health and Welfare in Helsinki setzten die Daten von 300.858 finnischen Erstgebärenden aus den Jahren 1996 bis 2008 in Relation zu 31.083 (10,3%) Erstgebärdenden mit einem vorangegangenen Schwangerschaftsabbruch, 4417 (1,5%) mit zwei und 942 (0,3%) mit drei oder mehr Schwangerschaftsabbrüchen vor der ersten Geburt (Zwillinge und Drillinge ausgenommen).

Fazit: Nach drei oder mehr Schwangerschaftsabbrüchen hatten diese Frauen gegenüber jenen ohne vorherige Abtreibung ein signifikant erhöhtes Risiko, ein Kind mit sehr niedrigem Geburtsgewicht (weniger als 1500g) oder niedrigem Geburtsgewicht (weniger als 2500g) zu gebären, oder eine Frühgeburt (vor der 37. Woche) oder sehr frühe Frühgeburt (vor 28 Wochen) auf die Welt zu bringen. Auch bei Frauen nach zwei Schwangerschaftsabbrüchen war ein leicht erhöhtes Risiko für eine frühe Frühgeburt vorhanden.

Die meisten der Schwangerschaftsabbrüche (88%) wurden chirurgisch durchgeführt, fast alle (91%) vor der 12. Schwangerschaftswoche und aus sozialen Gründen (97%). Die Forscher bereinigten ihre Ergebnisse von Co-Faktoren für Frühgeburten wie soziale Herkunft, Familienstand, Alter, Rauchen, frühere ektopische Schwangerschaften und Fehlgeburten.

In Finnland wurden im Jahr 2011 offiziell 10.108 Abtreibungen gemeldet (8,7 pro 1000 Frauen im Alter zwischen 15-49 Jahren). Studienleiter Reija Klemetti schließt aus den Ergebnissen: „Wir schlagen vor, dass das Potenzial für erhöhte Risiken bei späteren Geburten in die Sexualerziehung miteinbezogen werden sollte, zumal es noch andere gute Gründe dafür gibt, um Schwangerschaftsabbrüche zu vermeiden. Gesundheitsexperten sollten auch über die möglichen Risiken bei wiederholten Abtreibungen informieren.“

Quelle: IMABE-Newsletter September 2012

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Studie: Kinder von Rauchern sind häufiger krank

Schwächere Hustenreflexe verhindern Abwehr von Pathogenen aus der Umwelt

Passivrauchen ist für Kinder schädlich, auch deshalb, weil es die Hustenreflexe abschwächt. So leiden Kinder von Rauchern häufiger an Lungenerkrankungen, da sie gefährliche Pathogene schlechter abwehren können. Das haben Wissenschaftler des Monell Centers in Philadelphia herausgefunden und in der aktuellen Ausgabe des Fachjournals Tobacco and Nicotine Research (doi: 10.1093/ntr/nts198) publiziert, wie das Deutsche Ärzteblatt (online 20.8.2012) berichtet.

Ärzte beobachten schon länger, dass Kinder, deren Eltern oder ein Elternteil rauchen, häufiger krank sind. Sie leiden dabei oft an Infektionen wie Pneumonie oder Bronchitis. Ebenso greifen sie im Jugendalter signifikant häufiger zur Zigarette als ihre Altersgenossen aus nicht rauchenden Elternhäusern und sind somit langfristig einem höheren Krankheitsrisiko ausgesetzt. Die Autoren aus Philadelphia unter der Leitung von Paul Wise wollten aber den genauen Mechanismus klären, der hinter diesen Beobachtungen steckt. Sie wussten, dass der Hustenreflex erwachsener Raucher abgeschwächt ist und wollten überprüfen, ob dies auch bei passiv rauchenden Kindern der Fall und somit Ursache für die häufigeren Infektionsraten ist.

Dazu ließen sie ihre Probanden im Alter zwischen 10 und 17 Jahren über ein spezielles Inhaliergerät Capsaicin einatmen, das einen Hustenreflex auslöst, erhöhten sukzessive die Dosis und maßen die Schwellendosis, bis die Kinder zweimal gehustet hatten.

Es stellte sich heraus, dass die passiv rauchenden Kinder im Vergleich zu den nicht exponierten Altersgenossen eine doppelt so hohe Dosis Capsaicin für ein zweimaliges Husten benötigten. Damit lag ihre Schwellendosis in einem ähnlichen Verhältnis wie bei ihren rauchenden Eltern. Die Forscher meinen, ein wenig sensibler Hustenreiz könnte Kinder rauchender Eltern daran hindern, Pathogene aus der Umwelt abzuwehren, womit sich ihr Risiko für eine Lungenerkrankung erhöht. Außerdem verdeutliche die Studie, dass ein passiv rauchendes Kind auch dann gefährdet ist, wenn es nicht hustet, also den Eltern gesund erscheint.

Quelle: IMABE-Newsletter September 2012

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Deutschland: Politiker kritisieren PID-Verordnung als nicht gesetzeskonform

Widersprüche werden deutlich, es gibt nicht „ein bisschen Selektion“, sagt IMABE

Die Verordnung, wie die umstrittene Präimplantationsdiagnostik (PID) in Deutschland nun in der Praxis geregelt werden soll, beschert Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) scharfen Gegenwind (vgl. IMABE-Newsletter, August 2012). Der nun vorgelegte Entwurf für die lang erwartete Regelung stehe im Widerspruch zum Willen des Gesetzgebers, kritisieren Politiker aller Parteien. Statt der gesetzlich festgelegten Begrenzung des Genchecks von Embryonen im Reagenzglas auf Ausnahmefälle sei nun im Verordnungsentwurf „eine Ausweitung der PID angelegt“, heißt es in dem an Bahr gerichteten Schreiben der Abgeordneten von CDU/CSU, Grünen, SPD und Linken, berichtet die Ärzte Zeitung (online 11.9.2012).

Das im Juli 2011 vom Deutschen Bundestag beschlossene Gesetz stellt rechtstechnisch die PID unter Strafe, lässt eine Untersuchung aber dann zu, wenn eine hohe Wahrscheinlichkeit für eine schwerwiegende Erbkrankheit oder schwere Schädigung des Embryos zu erwarten ist. Definiert werden diese unbestimmten Rechtsbegriffe nicht.

Die Abgeordneten kritisieren weiters, dass die Zahl der PID-Zentren nicht festgelegt sei, womit die Gefahr einer „ungewollten Leistungsausweitung“ entstünde. Zudem seien Qualitätsstandards fraglich, wenn viele Zentren nur hin und wieder eine PID durchführten. Bundesweit geht man nur von rund 200 Fällen pro Jahr aus. Würde man sich an die Vorgaben des Gesetzes halten, wäre eine kleine Anzahl von Zentren ausreichend.

Skeptisch beurteilt die Gruppe auch die Regelung, wonach die psychosoziale Beratung der Paare über die Folgen der PID in den reproduktionsmedizinischen Zentren selbst stattfinden soll. Das beratende Personal sei damit abhängig von „wirtschaftlichen Interessen“ der Einrichtung. Ein weiterer Kritikpunkt ist, dass die Diagnosen oder Erkrankungen, mit der eine PID gerechtfertigt wird, statistisch nicht erfasst werden sollen. Somit lasse sich eine schleichende Ausweitung des Indikationsspektrums nicht kontrollieren.

Ein Inkrafttreten der Verordnung ist für 2013 geplant. Zuvor muss der Bundesrat zustimmen. Doch die Gesundheitsminister von sechs Ländern haben bereits signalisiert, dass sie ihrer Landesregierung keine Zustimmung für eine unbegrenzte Zahl von PID-Zentren empfehlen werden. Aufgrund der fehlenden Rechtsverordnung darf die PID in Deutschland derzeit nicht durchgeführt werden.

„Für Österreich, in der die Vorab-Selektion von Embryonen noch verboten ist, ist das Beispiel Deutschland ein lehrreiches Stück“, gibt Susanne Kummer, stv. IMABE-Geschäftsführerin, zu Bedenken. „Eine Pandora-Büchse lässt sich nicht einfach nur kurz und nur ein paar Millimeter öffnen. Es gibt eben nicht ‚ein bisschen Selektion’, genauso wenig wie eine ‚Zeugung auf Probe’“, betont Kummer und ergänzt: „Die Frage ist, ob hiesige Verantwortliche die richtigen Konsequenzen aus der deutschen Problematik ziehen: nämlich die PID ausnahmslos zu verbieten.“

Quelle: IMABE-Newsletter September 2012

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Studie: IVF-Techniken entsprechen nicht klinischen Standards

Britische Wissenschaftler fordern mehr Ethik und Seriosität in der Reproduktionsmedizin

Seit der Geburt des ersten „Retortenkindes“ im Jahr 1978 sind die an der künstlichen Befruchtung beteiligten Techniken (ART) mit enormem Tempo gewachsen. Allerdings nahm man es bei der Sicherheit und Wirksamkeit in der Anwendung am Menschen nicht immer so genau – mit ethischen und klinischen Folgen. Zu diesem Ergebnis kommen zwei britische Wissenschaftlerinnen in einem jüngst im Reproductive BioMedicine Online (2012: Volume 25, Issue 2 , 108-117) publizierten Artikel. (Herausgeber und Gründer des Journals ist der IVF-Pionier und Nobelpreisträger Robert Edwards.)

Nur wenige Verfahren seien nach klinischen Standards geprüft worden, bevor sie auf den Markt kommen, analysieren Rachel Brown und Joyce Harper vom University College London. Die Vorteile einiger Technologien, die bereits routinemäßige etabliert sind, nennen sie „dubios“. Zudem wären Wissenschaftler trotz neuer, randomisierter Studien nicht bereit, die Sicherheit der betroffenen Frauen und den Nutzen der Anwendungen an erste Stelle zu stellen und die Anwendungen der Techniken zu modifzieren, kritisiert Genetikerin Harper, selbst Forschungsdirektorin des Londoner Centre for Reproductive and Genetic Health.

Als Beispiel für Übereilung nennen sie das Präimplantationsdiagnostik-Screening von Embryonen. Die mit 62 Prozent häufigste Indikation für PID ist die Aneuploidie, also numerische „Fehler“ der Chromosomenzahl. Im Rahmen der Chromosomdiagnostik wird dafür die Methode der „Fluoreszenz-in situ-Hybridisierung“ (FISH) angewendet, diese stellt aber nur ein grobes Messinstrument dar, Fehldiagnosen sind nicht ausgeschlossen (vgl. IMABE-Info „Präimplantationsdiagnostik“).

Bislang gibt es 11 randomisierte Studien, die untersuchten, ob IVF-Schwangerschaftsraten nach dieser Form der PID stiegen. Ein Zusammenhang konnte bis heute nicht belegt werden, dennoch wird das Screening als Standardinstrument bei IVF angeboten, kritisiert Brown. Offenbar hätten selbst fundierte wissenschaftliche Erkenntnisse wenig Einfluss darauf, wie PID routinemäßig im klinischen Umfeld eingesetzt wird.

Die Autorinnen deuten an, dass kommerzielle Erwägungen eine Rolle bei der Förderung von Techniken spielen könnten. Die durchschnittliche Erfolgsrate der künstlichen reproduktiven Technologien (Baby-Take-Home-Rate) liegt bei immer noch niedrigen 15 bis 20 Prozent, wobei jeder Versuch Tausende von Dollar kostet. In einem im Dezember 2011 im Oxford Journal of Human Reproduction veröffentlichten Artikel (2011; doi: 10.1093/humrep/der414) hatte Harper die Ethik und den Eifer der IVF-Industrie in Frage gestellt, mit dem sie ungetestete Technologien auf den Menschen anwenden. Gerade weil es im Bereich der ART um emotional verwundbarer Personen geht (manche Methoden werden erst nach mehreren gescheiterten IVF-Versuchen angeboten) und wirtschaftliche Interessen mit ein Rolle spielen, plädieren die Autorinnen für besondere Sorgfalt: Es sei sicherzustellen, „dass alle neuen Technologien angemessen sind und auf ihre Sicherheit und Effizienz getestet werden, bevor man sie klinisch einsetzt.“

Quelle: IMABE-Newsletter September 2012

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