Donnerstag, 5. September 2013

Studie: Ethik in klinische Leitlinien für Demenz besser integrieren

Ethisches Handeln und Entscheiden bei Demenzkranken sind oft nur lückenhaft erfasst

Eine an Demenz erkrankte Frau wartet auf ihren Mann. Sie weiß nicht mehr, dass er schon verstorben ist. Ist es moralisch vertretbar, ihr zu sagen, dass ihr Mann bald wiederkommt? Immer wieder müssen Menschen, die Demenzkranke behandeln und betreuen, ethische Entscheidungen dieser Art treffen. Dabei sollen ihnen klinische Leitlinien Orientierung bieten. Doch eine Studie von Wissenschaftlern der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH), die jüngst in PLOS Medicine (10(8): e1001498. doi:10.1371/journal.pmed.1001498) erschien ergab, dass diese national unterschiedlichen klinischen Leitlinien zur Demenz durchschnittlich nur rund die Hälfte von 31 wichtigen ethischen Herausforderungen ansprechen. Die Forscher hatten in ihrer von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Studie Leitlinien aus zwölf Ländern untersucht, heißt es in der Pressemitteilung Informationsdienst Wissenschaft (online, 19. 8. 2013). 

„Die Leitlinien weisen nur 22 Prozent (Schweiz) bis 77 Prozent (USA) von 31 wichtigen ethischen Herausforderungen auf“, sagt Studienleiter Daniel Strech vom MHH-Institut für Geschichte, Ethik und Philosophie der Medizin. Sie enthielten sehr unterschiedliche Herausforderungen. Einige umfassen ethische Empfehlungen – teilweise auch mit Begründungen oder Literaturhinweisen. „Elf Leitlinien erwähnen vier ethische Herausforderungen überhaupt nicht – beispielsweise die adäquate Berücksichtigung von Patientenverfügungen und Betreuungsvollmachten oder den angebrachten Umgang mit Lebensmüdigkeit.“ In keiner Anleitung zur Erstellung klinischer Leitlinien stehe, wie krankheitsspezifische ethische Herausforderungen integriert werden können. Sechs Leitlinien wurden von staatlichen Institutionen entworfen (Australien, Frankreich, Malaysia, Neuseeland, Singapur, Großbritannien), vier von medizinischen Fachgesellschaften (Kanada, Deutschland, Schottland, USA), eine von einer Krankenkasse in Kooperation mit einer Medizinischen Universität (Österreich) und eine von einer Expertenkommission (Schweiz). In der deutschen Leitlinie bleibe unter anderem offen, wie mit Zwangsmaßnahmen, versteckter Medikamentengabe oder Lebensmüdigkeit umgegangen werden sollte. Ethische Aspekte sollten besser in klinische Leitlinien integriert werden.

Foto: Helene Souza  / pixelio.de

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Montag, 17. September 2012

Studie: IVF-Techniken entsprechen nicht klinischen Standards

Britische Wissenschaftler fordern mehr Ethik und Seriosität in der Reproduktionsmedizin

Seit der Geburt des ersten „Retortenkindes“ im Jahr 1978 sind die an der künstlichen Befruchtung beteiligten Techniken (ART) mit enormem Tempo gewachsen. Allerdings nahm man es bei der Sicherheit und Wirksamkeit in der Anwendung am Menschen nicht immer so genau – mit ethischen und klinischen Folgen. Zu diesem Ergebnis kommen zwei britische Wissenschaftlerinnen in einem jüngst im Reproductive BioMedicine Online (2012: Volume 25, Issue 2 , 108-117) publizierten Artikel. (Herausgeber und Gründer des Journals ist der IVF-Pionier und Nobelpreisträger Robert Edwards.)

Nur wenige Verfahren seien nach klinischen Standards geprüft worden, bevor sie auf den Markt kommen, analysieren Rachel Brown und Joyce Harper vom University College London. Die Vorteile einiger Technologien, die bereits routinemäßige etabliert sind, nennen sie „dubios“. Zudem wären Wissenschaftler trotz neuer, randomisierter Studien nicht bereit, die Sicherheit der betroffenen Frauen und den Nutzen der Anwendungen an erste Stelle zu stellen und die Anwendungen der Techniken zu modifzieren, kritisiert Genetikerin Harper, selbst Forschungsdirektorin des Londoner Centre for Reproductive and Genetic Health.

Als Beispiel für Übereilung nennen sie das Präimplantationsdiagnostik-Screening von Embryonen. Die mit 62 Prozent häufigste Indikation für PID ist die Aneuploidie, also numerische „Fehler“ der Chromosomenzahl. Im Rahmen der Chromosomdiagnostik wird dafür die Methode der „Fluoreszenz-in situ-Hybridisierung“ (FISH) angewendet, diese stellt aber nur ein grobes Messinstrument dar, Fehldiagnosen sind nicht ausgeschlossen (vgl. IMABE-Info „Präimplantationsdiagnostik“).

Bislang gibt es 11 randomisierte Studien, die untersuchten, ob IVF-Schwangerschaftsraten nach dieser Form der PID stiegen. Ein Zusammenhang konnte bis heute nicht belegt werden, dennoch wird das Screening als Standardinstrument bei IVF angeboten, kritisiert Brown. Offenbar hätten selbst fundierte wissenschaftliche Erkenntnisse wenig Einfluss darauf, wie PID routinemäßig im klinischen Umfeld eingesetzt wird.

Die Autorinnen deuten an, dass kommerzielle Erwägungen eine Rolle bei der Förderung von Techniken spielen könnten. Die durchschnittliche Erfolgsrate der künstlichen reproduktiven Technologien (Baby-Take-Home-Rate) liegt bei immer noch niedrigen 15 bis 20 Prozent, wobei jeder Versuch Tausende von Dollar kostet. In einem im Dezember 2011 im Oxford Journal of Human Reproduction veröffentlichten Artikel (2011; doi: 10.1093/humrep/der414) hatte Harper die Ethik und den Eifer der IVF-Industrie in Frage gestellt, mit dem sie ungetestete Technologien auf den Menschen anwenden. Gerade weil es im Bereich der ART um emotional verwundbarer Personen geht (manche Methoden werden erst nach mehreren gescheiterten IVF-Versuchen angeboten) und wirtschaftliche Interessen mit ein Rolle spielen, plädieren die Autorinnen für besondere Sorgfalt: Es sei sicherzustellen, „dass alle neuen Technologien angemessen sind und auf ihre Sicherheit und Effizienz getestet werden, bevor man sie klinisch einsetzt.“

Quelle: IMABE-Newsletter September 2012

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