Montag, 27. Dezember 2010

Emil gilt nicht mehr als Schadensfall

Vor zweieinhalb Jahren klagte ein Ungeborener die Republik. Jetzt wird das Gesetz geändert.

Wien, Bregenz – Für die Vorarlberger Familie Karg – Sabine, Andreas und ihr Sohn Emil – ist das heurige Weihnachtsfest ein besonderes. Denn vor wenigen Tagen haben sie die Bestätigung für ihre vor zweieinhalb Jahren begonnene Initiative bekommen: Ab 1. Juni 2011 tritt ein neues Gesetz in Kraft, das klarstellen soll, dass die Geburt und Existenz eines Kindes mit Behinderung keinen Schaden darstellt.

Emil hatte 2008 als Ungeborener mit offenem Rücken die Republik wegen Verletzung seiner Würde verklagt. Anwalt Paul Sutterlüty, der als Kurator eingesetzt wurde, freut sich nun über den „politischen Durchbruch“. Die Klage Emils wurde zwar von den Gerichten abgewiesen, Ziel der Initiative sei es aber ohnehin nie gewesen, dort einen Erfolg zu erringen – dass es gelungen sei, zu mobilisieren, einen Anstoß zu einer Gesetzesänderung zu geben, darf wohl als wahrer Sieg gesehen werden.

Zur Vorgeschichte: Die Eltern von Emil bekamen im März 2008 nach einem Urteil des Obersten Gerichtshofs (OGH) wegen eines Fehlers in der Pränataldiagnose Schadenersatz für ihr behindert geborenes Kind zugesprochen. Außerdem hätte Emil auch bis zur Geburt straffrei abgetrieben werden können. Sabine und Andreas Karg sahen in der Tatsache, dass ihr Kind rechtlich als Schaden gewertet werden könnte, eine Diskriminierung und klagten.

Auch in der Ärzteschaft ist die Freude über das neue Gesetz groß. Laut Peter Schwärzler, Leiter der Gynäkologie am Landeskrankenhaus Feldkirch, schütze die neue Regelung die Kinder besser vor einer Abtreibung auf Verdacht. Dass Ärzte bisher aus Haftungsgründen verpflichtet waren, den kleinsten Zweifel den Eltern mitzuteilen, habe häufig grundlos die Freude über die Schwangerschaft überschattet und zu vielen Untersuchungen ohne medizinische Indikation geführt. Im kommenden Jahr soll ein in Vorarlberg entwickelter Leitfaden für Ärzte für die Pränataldiagnose in ganz Österreich umgesetzt werden.

Auch die Tirolerin Marianne Hengl, die seit Jahren für die Rechte behinderter Menschen kämpft, freut sich über die Gesetzesänderung: „Ich habe Justizministerin Claudia Bandion-Ortner einen Brief geschrieben und ihr vorgeschlagen, im Sommer ein großes Fest zu machen, nach dem Motto „Wir feiern das Leben“, so Hengl zur TT. Für sie als Betroffene sei die Gesetzesänderung „das schönste Weihnachtsgeschenk, das ich mir überhaupt vorstellen kann“. Denn sie habe das Gefühl, behinderte Menschen würden der Gesellschaft zunehmend wichtiger – und nicht als „Schadensfall oder Belastung“ wahrgenommen, sagt Hengl. „Eine Behinderung kann schwer sein, das ist die Realität. Aber man kann auch ein erfüllendes Leben haben“, erklärt die umtriebige Tirolerin.

Sie verwies ebenfalls auf die Ärzte, auf denen aufgrund der noch geltenden Gesetzeslage ein großer Druck gelastet habe. „Sie waren quasi dazu gezwungen, auch bei vagen Befunden zur Abtreibung zu raten – aus Angst vor Klagen.“ Unsere Gesellschaft müsse Platz für jeden Menschen haben, appelliert Marianne Hengl. (TT-car, APA)

Quelle: Tiroler Tageszeitung vom 26. Dezember 2010

Donnerstag, 23. Dezember 2010

Fraktions­über­greifender Gruppen­antrag auf PID-Verbot

Berlin – Abgeordnete aller Bundestags­fraktionen haben sich auf einen gemeinsamen Antrag für ein umfassendes Verbot der umstrittenen Präimplan­tations­diagnostik (PID) geeinigt. Eine „gesetzlich legitimierte Selektion vor Beginn der Schwanger­schaft“ wäre nicht akzeptabel, heißt es in dem heute veröffentlichten Antrag.

Hinter dem Antrag stehen Unions-Abgeordnete wie Dorothee Bär und Johannes Singhammer (beide CSU), Maria Flachsbarth und Rudolf Henke (beide CDU), sowie SPD-Politikerinnen wie Andrea Nahles und die frühere Bundes­gesundheits­ministerin Ulla Schmidt, die Grünen-Abgeordneten Birgitt Bender und Markus Kurth sowie die Linken-Politikerin Kathrin Vogler. Für die FDP ist Pascal Kober als Mitinitiator aufgeführt.

Der Bundesgerichtshof hatte mit einem Urteil im Juli die PID in Deutschland faktisch zugelassen. Der Bundestag will die Frage ohne Fraktionszwang beraten. Die Befürworter – die sich ebenfalls in allen Bundestagsfraktionen finden - argumentieren, die Methode könne Paaren mit Vorbelastung durch schwere Erbkrankheiten helfen. Bei künstlicher Befruchtung könne verhindert werden, einen geschädigten Embryo in den Mutterleib einzupflanzen und womöglich eine spätere Abtreibung zu riskieren.

Die Gegner der PID sehen keinen Widerspruch zur bestehenden Gesetzesregelung für einen Schwangerschaftsabbruch, wonach Spätabtreibungen bei Gefahr für die körperliche und seelische Gesundheit der Mutter möglich sind. Bei der PID sei anders als bei der vorgeburtlichen Untersuchung von Embryonen im Mutterleib auf mögliche Behinderungen oder schwere Krankheiten keinerlei Abwägung möglich. Die Entscheidung sei bei der PID damit vorgegeben.

In dem Gruppenantrag heißt es, man erkenne den hohen Leidensdruck betroffener Paare an. Doch behalte man die gesellschaftspolitischen Auswirkungen im Blick. „Ein immer weiter um sich greifendes medizinisches Optimierungsstreben verletzt und stigmatisiert alle Menschen, die sich bewusst gegen die Idee der Machbarkeit entscheiden“, erklären die Antragsteller.

Ein gewichtiges Argument gegen PID seien auch die Erfahrungen in anderen Ländern. Eine begrenzte Zulassung für nur wenige Einzelfälle sei nicht möglich.

„Unser gesellschaftliches Bild von Menschen, die nicht zu 100 Prozent gesund sind, muss sich ändern“, heißt es weiter. „Körperliche und intellektuelle Beeinträchtigungen dürfen nicht automatisch mit Leid verbunden werden, sondern sind selbstverständlicher Ausdruck menschlicher Vielfalt.“

Eltern schwer kranker oder behinderter Kinder würden schon jetzt diskriminiert. „Die Akzeptanz für das Verfahren, auf Probe erzeugte Embryonen mit einer bestimmten Erkrankung oder Behinderung aussortierten zu können, stellt damit unterschwellig einen Angriff auf die Würde eines jeden Menschen mit diesen Erkrankungen oder Behinderungen dar.“

Wird bei PID eine Krankheit festgestellt, werden die Embryonen verworfen. Auch das halten Gegner der Methode für unethisch. Allerdings fallen bei künstlicher Befruchtung fast immer „überzählige“ Embryonen an, die zum Teil eingefroren werden.

In dem Antrag argumentieren die Abgeordneten zudem, dass die PID Paare zur künstlichen Befruchtung zwinge, die sich auf natürliche Weise fortpflanzen könnten. Das bringe für Frauen erhebliche körperliche Belastungen mit sich.

Vor allem das christlich-konservative Lager ist in der Frage der PID gespalten. Befürworter einer begrenzten Zulassung der Genuntersuchungen wollen nächste Woche einen eigenen, fraktionsübergreifenden Gesetzentwurf zur genetischen Untersuchung von künstlich erzeugten Embryonen vorlegen.

Der Entwurf sieht vor, dass die PID in Deutschland grundsätzlich verboten, in Ausnahmefällen aber ausdrücklich erlaubt sein wird. Der CDU-Parteitag hatte sich im November mit knapper Mehrheit für ein PID-Verbot ausgesprochen, die Abstimmung im Bundestag aber zur Gewissensentscheidung erklärt. Das Parlament soll - ohne Fraktionszwang - im Frühsommer abstimmen.

Der Deutsche Ethikrat kündigte unterdessen seine Stellungnahme zur PID für Ende Februar 2011 an. Ethikratmitglied Wolf-Michael Catenhusen sagte gestern in Berlin, damit wolle der Ethikrat sicherstellen, dass seine Beratungsergebnisse in die Entscheidung des Bundestags mit einfließen könnten. dapd /afp/kna © afp/dapd/kna/aerzteblatt.de

Quelle: Deutsches Ärzteblatt vom 17. Dezember 2010

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