Experten kritisieren Entwicklung der IVF als „gewinnbringende Industrie"
Ein österreichisches Paar, beide sind Ende 20. Nach
einem Jahr ist sie trotz Kinderwunsch noch nicht schwanger, nach
WHO-Definition gilt das Paar daher als steril. Sie suchen einen Arzt
auf und entscheiden sich nach medizinischer Beratung für eine
künstliche Befruchtung (In-vitro Fertilisation, IVF). Nach einer
Fehlgeburt und einem zweiten IVF-Versuch wird die Frau wieder
schwanger, sie bringt ein Kind zur Welt. Zwei Jahre später ist sie
wieder schwanger – auf natürlichem Weg. Das Paar war also doch nicht
unfruchtbar. Kein Einzelfall, sagen nun niederländische Forscher.
Reproduktionsmediziner raten offenbar häufig zu früh zu einer IVF bei
kinderlosen Paaren. Das ist das Ergebnis einer Analyse, die nun im
British Medical Journal veröffentlicht wurde (
2014; 348: g252).
Weltweit werden jährlich mehr als 3,7 Millionen
Kinder nach IVF geboren. Die Zahl stieg an, nicht etwa weil die bis
heute mit rund 15 Prozent geringe Baby-Take-Home-Rate maßgeblich
verbessert werden konnte, sondern weil ein weltweiter Markt der
Reproduktionsindustrie besteht, der nach Regeln einer
„gewinnbringenden Industrie“ funktioniert, wie die Arbeitsgruppe um
Esme Kamphuis vom Zentrum für Reproduktionsmedizin an der Universität Amsterdam kritisiert.
Die ursprünglich strenge Indikation für IVF – bei
Erkrankungen des Eileiters – wurde inzwischen durch ein breites
Indikationsspektrum ausgedehnt. Dazu zählen allen voran die „ungeklärte
Unfruchtbarkeit“ (idiopathische Sterilität), Endometriose oder
schlechte Spermienqualität. Die Wissenschaftler betrachten diese
Entwicklung kritisch. Die „ungeklärte Unfruchtbarkeit“ sei mit rund
30 Prozent eine der häufigsten Gründe für den Wunsch, eine IVF
vorzunehmen. Während in Großbritannien zwischen 2000 und 2011 die
Zahl der IVF-Zyklen wegen Erkrankungen des Eileiters mit rund 7.000
konstant blieb, verdreifachte (!) sich in diesem Zeitraum die Zahl der
IVF wegen idiopathischer Sterilität von 6.000 auf 19.500. In den USA
stieg die Zahl der jährlichen IVF-Zyklen zwischen 2000 und 2010 von
90.000 auf 150.000 an. Laut Kamphuis und Kollegen deuten diese Zahlen
auf eine zu häufige und zu frühe Intervention.
Einer niederländischen Studie an einer Kohorte von
500 Paaren zufolge – sie waren im Durchschnitt fast 2 Jahre
unfruchtbar ohne genauen Grund – konnten 60 Prozent nach einer Beratung
in einer Klinik auf natürlichem Wege Kinder zeugen. Eine weitere
Studie zeigte ebenfalls, dass 25 Prozent der Frauen, die mindestens
zwei Jahre nicht schwanger wurden, nach weiteren sechs Monaten doch
noch schwanger wurden. Nach drei Jahren betrug der Anteil sogar 75
Prozent.
Ärzte dürfen die Indikation für eine IVF nicht
leichtfertig stellen, mahnen deshalb die Wissenschaftler. Angesichts
der Entwicklungen einer Reproduktionsindustrie, die gewinnorientiert
eine sofortige Schwangerschaft oder ein Kind verspricht, orten die
Mediziner einen „Mangel an Willen“, über die Nebenwirkungen
aufzuklären. Es sei heute bekannt – aber kaum kommuniziert – dass IVF
sowohl bei Müttern als auch Kindern zu Komplikationen führen kann.
Langzeitfolgen für die geborenen Kinder seien nach Ansicht der
Wissenschaftler noch viel zuwenig erforscht. Es fällt auf, dass in
Fachkreisen immer häufiger Stimmen laut werden, sich mit den
Schattenseiten der IVF seriös zu beschäftigen.
Erst kürzlich hatte Großbritannien vor Gesundheitsrisiken bei IVF-Kindern gewarnt (vgl.
Reproduktionsmedizin: Britische Behörde warnt vor riskantem Einsatz der ICSI-Methode). Bereits 2012 hatten Autoren im
New England Journal of Medicine eine kritische Begleitung der assistieren Reproduktion (ART) eingemahnt (vgl.
Studie: Höhere Fehlbildungsrate bei IVF-Kindern belegt), im
Reproductive BioMedicine Online (vgl.
Studie: IVF-Techniken entsprechen nicht klinischen Standards)
hatten die Autorinnen angeprangert, dass man es bei der Sicherheit
und Wirksamkeit der Anwendung von ART am Menschen nicht immer so genau
nehme – mit gravierenden ethischen und klinischen Folgen.
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Labels: IVF, Künstliche Befruchtung, Studie