Studie: Nutzen von Mammografie-Screening-Programmen weit überschätzt
Experten fordern Abschaffung von Massenscrennings und klare Aufklärung über Risiken
In Österreich wurde das
Vorsorge-Mammografie-Screening ohne Überweisung durch den Arzt seit
Jahresbeginn mit großer Emphase eingeführt. Ab sofort erhalten nun 1,5
Millionen Frauen im Alter zwischen 45 und 69 Jahren – auch ohne
Verdachtssymptome – alle zwei Jahre direkt eine Einladung für eine
Untersuchung auf Kosten der Krankenkasse (vgl. Standard, online, 7. 5. 2014). Doch gerade diese Form des Massenscreenings gerät in Expertenkreisen immer mehr unter Beschuss.
In Deutschland hat sich Bundesärztekammerpräsident
Frank Ulrich Montgomery für eine Überprüfung des
Nutzen-Risiko–Verhältnisses von Vorsorgeuntersuchungen ausgesprochen.
Studien würden zeigen, dass sich die Zahl der Todesfälle durch solche
Untersuchungen nur marginal senken lasse oder Patienten möglicherweise
sogar geschadet wird, so Montgomery (vgl. Berliner Zeitung, online, 23. 5. 2014).
Ein vom Swiss Medical Board (SMB) veröffentlichter Report
plädiert nach Auswertung zahlreicher randomisierter und kontrollierter
Studien überhaupt für die Abschaffung systematischer
Mammografie-Screenings zur Brustkrebs-Prävention. Das Swiss Medical Board (SMB) ist eine unabhängige Einrichtung der Konferenz der Gesundheitsminister der Schweizer Kantone und der Schweizerische Akademie der medizinischen Wissenschaften (SAMW). Ihr Auftrag war es, Vor- und Nachteile des Screenings anhand von Studien zu analysieren. Im New England Journal of Medicine (2014; 370: 1965-196) erläutern die SMB-Autoren Nikola Biller-Andorno (Institut für Biomedizinische Ethik, Universität Zürich) und Peter Jüni (Institut für Sozial- und Präventivmedizin, Universität Bern)
ihre Ergebnisse. Nur ein bis zwei Todesfälle pro 1000 gescreenten
Frauen könnten mit einem Massenscreening verhindert werden.
Demgegenüber
komme es bei 100 Frauen zu Falschbefunden. Diese führen teilweise zu
„einer diagnostischen Kaskade von wiederholten Mammografien, Biopsien
und Überdiagnosen von Karzinomen, die klinisch nie in Erscheinung
getreten wären“, warnen die Autoren. Die Kosten seien psychisch wie
monetär hoch.
Die glaubwürdigsten Schätzungen zu den Überdiagnosen sehen die Experten in der im British Medical Journal publizierten Nationalen Kanadischen Brustkrebs-Screening-Studie (2014; 348: g366).
Hier habe sich nach 25 Jahren Follow-up gezeigt, dass 106 (21,9
Prozent) von 484 Karzinomen, die durch das Screening entdeckt wurden,
sich später als harmlose Tumore entpuppten. Bei fast einem Viertel der
Frauen wurde „falscher Alarm“ ausgelöst. Sowohl der Befund als auch die
Behandlung würden – abgesehen von den Kosten für das Gesundheitssystem –
für die betroffenen Frauen eine unnötige körperliche wie auch hohe
psychische Belastung bedeuten. Auch der Review der Cochrane Collaboration,
der 10 Studien mit mehr als 600.000 Frauen im Alter zwischen 39 und 74
Jahren umfasst, ergebe keinerlei Evidenz für einen Effekt auf eine
Reduktion der Gesamtsterblichkeit (vgl. Cochrane Database Syst Rev 2013; 6: CD001877-CD001877).
Basierend auf der Datenauswertung schlägt das SMB deshalb vor, keine
neuen flächendeckenden Mammografie-Screenings einzuführen. Die
Empfehlung richte sich nicht gegen die medizinische Methode der
Mammografie an sich, betont Biller-Andorno. Frauen, die sich aller Vor-
und Nachteile der Mammografie bewusst seien, könnten selber abwägen, ob
sie eine Untersuchung wollen oder nicht. Sinnvoll sei eine Mammografie
sicher bei einer familiären Disposition für Brustkrebs oder bei einem
auffälligen Befund.
Scharfe Worte findet im British Medical Journal (2014; 348: g2636) Gerd Gigerenzer, Leiter des Max-Planck Instituts für Bildungsforschung
in Berlin. Die Informationsprozesse im deutschen Screening-Programm
seien nicht geeignet, den Frauen informierte Entscheidungen zu
ermöglichen, kritisiert Gigerenzer. Er fordert Frauen und
Frauenorganisationen auf, sich in Kampagnen für ehrliche Informationen
zum Mammografie-Screening einzusetzen (vgl. IMABE-September 2009: 92
Prozent aller Frauen überschätzen den Nutzen der Mammografie als
Mittel zur Vermeidung einer tödlich verlaufenden Brustkrebserkrankung).
Quelle: Imabe-Newsletter Juni 2014
Foto: Rainer Sturm / pixelio.de
Labels: Mammografie, Massenscreening, Risiken, Studie
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