Der Diskurs über den Zusammenhang zwischen
Religiosität und Gesundheit ist in akademischen medizinischen Kreisen
immer noch eine Rarität. Erst in jüngerer Zeit haben einige wenige
psychiatrische Teams, vor allem in den Vereinigten Staaten, den Faktor
Religiosität rehabilitiert und zum Forschungsgegenstand erhoben.
Zugleich erlebt der Begriff „Spiritualität“ derzeit einen
para-wissenschaftlichen Boom.
Welche existentielle Bedeutung hat Krankheit für den
Menschen? Vor welche Aufgaben – auch anthropologische – ist hier die
Heilkunst der Medizin gestellt?
Arndt Büssing, Mediziner und Professor am Zentrum für Integrative Medizin (Universität Witten/Herdecke) und Janusz Surzykiewicz, Professor für Pastoraltheologie und Allgemeine Psychologie (Kath. Universität Eichstätt-Ingolstadt)
zeigen anhand einiger empirischer Studien, dass nicht nur
Terminalpatienten oder schwer Erkrankte, sondern auch Patienten mit
chronischen Erkrankungen spirituelle Bedürfnisse haben, diese aber im
Gesundheitssystem zumeist unberücksichtigt bleiben. Etliche
Studienergebnisse stellen einen Zusammenhang zwischen Spiritualität und
erfolgter Genesung her. Auch wenn die Daten stimmig erhoben wurden,
scheint es, als ob man sich nur für den Glauben entscheiden müsse, um
einige Lebensjahre dazuzugewinnen. Diese Befunde wirken verführerisch.
Der Beitrag von Wilhelm Donner (Philosoph, Wien) geht kritisch
der Tendenz nach, Spiritualität als Medizin zu betrachten. Religiosität
dürfe nicht als Therapeutikum missdeutet werden, wenngleich sie zu
nutzbringenden oder wünschenswerten Placebo-Effekten führt.
Die Theologin Katharina Westerhorstmann (Universität Bonn)
stellt die Frage, ob Krankheit ein Weg sein kann, das Wesentliche im
Leben besser zu erkennen und dadurch paradoxerweise als Mensch in der
Krankheit zu „gesunden“? In ihren anthropologisch-ethischen Überlegungen
zeigt sie, wie diese „Zumutung“ für den Menschen und seine Umgebung
zum Katalysator werden kann, das ihm anvertraute Leben als Gabe und
Aufgabe zu erkennen.
Clemens Pilar, Theologe und Priester (Kalasantiner, Wien),
legt dar, dass neben sinnvollen Ansätzen, die die spirituelle
Dimension des Menschen im therapeutischen Bereich berücksichtigen,
besonders auf dem Gebiet der Alternativmedizin häufig Therapien zu
finden sind, die unter dem Etikett der „Ganzheitlichkeit“ in Wahrheit
die Personalität des Menschen leugnen und lediglich eine
Pseudospiritualität anbieten.
Der Freiburger Medizinethiker Giovanni Maio widmet
sich in der Rubrik „Aus aktuellem Anlass“ kritisch der Tendenz der
Reproduktionsmedizin, wonach man die Fortpflanzung geradezu beliebig
planbar und den eigenen Wünschen verfügbar machen könne. Anhand des
sog. Social Egg Freezing (Einfrieren von Eizellen der Frau auf Vorrat
für etwaige spätere Schwangerschaft) zeigt Maio auf, warum das
Suggerieren einer Verfügbarkeit von Schwangerschaft auf Knopfdruck eine
gefährliche Illusion ist.
Eine Vorschau der
Imago-Hominis-Ausgabe 1/2014 mit dem Schwerpunkt „Spiritualität in der Medizin II“ findet sich auf
http://www.imabe.org/index.php?id=1522, das Einzelheft kann um 10 Euro zzgl. Versandkosten bezogen werden.
Foto: IMABE