IMABE-Geschäftsführerin kritisiert: Suizidgesetz schützt Ärzte, nicht aber Patienten
Die Lehrstuhlinhaber für Palliativmedizin in
Deutschland haben sich geschlossen gegen den ärztlich assistierten
Suizid ausgesprochen. In einer Stellungnahme bekräftigten sie, dass
eine solche Beihilfe keine ärztliche Aufgabe sei, berichtet das
Deutsche Ärzteblatt (
online, 9. 10. 2014). Eine Gesetzesänderung zur Ermöglichung eines ärztlich assistierten Suizids sei keine adäquate Antwort auf Leiden. Die
Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin
unterstützt den Appell. Damit stellen sich die Palliativmediziner u.
a. offen gegen ihren in Lausanne und früher in München tätigen
Kollegen, Gian Domenico Borasio. Dieser hatte einen Gesetzesentwurf
vorgelegt, wonach es Ärzten erlaubt sein sollte, Suizidwilligen bei der
Selbsttötung Beihilfe zu leisten. Auch die
Österreichische Palliativgesellschaft hat gemeinsam mit dem
Dachverband Hospiz, der
Caritas, dem
Roten Kreuz und der
Vinzenzgruppe in
einer an die Enquete „Sterben in Würde“ gerichteten Stellungnahme
gefordert, dass Palliativbetreuung flächendeckend ausgebaut werden
müsse. Tötung auf Verlangen oder Beihilfe zur Selbsttötung lehnen sie
entschieden ab (vgl.
Tiroler Tageszeitung,
online, 9. 10. 2014).
„Positiv ist, dass man sich nun öffentlich mit
tabuisierten Themen wie Krankheit, Sterben, Tod auseinandersetzt. Es
wird auch ein Bedarf an Weiterbildung für Ärzte und Pfleger in der
Begleitung und Behandlung Schwerkranker deutlich“, sagt Ethikerin
Susanne Kummer. „Die Antwort auf einen therapeutischen Übereifer, der
nicht Leben, sondern Sterben verlängert, kann aber nicht darin
bestehen, die Tötung oder Hilfe zur Selbsttötung der Leidenden als
individuelles Recht einzufordern“, betont die IMABE-Geschäftsführerin.
Es wäre fatal, wenn Selbstmord zu einem logischen Akt der
Selbstbestimmung umdefiniert würde. „Eine menschliche Medizin zeige
sich in der „professionellen Kompetenz, Therapien zurückzufahren, wo
keine Aussicht auf Heilung besteht“, „Therapieziele zum Wohle des
Patienten ändern zu können“, die „Schmerzlinderung zu verbessern, dem
Sterbenden als Mitmenschen beizustehen und ihn nicht alleine zu
lassen“, so Kummer.
Ein Blick auf den US-Bundesstaat Oregon, wo es
Ärzten seit 1997 erlaubt ist, Beihilfe zum Suizid zu leisten,
beunruhige zutiefst, erklärt Kummer. So habe sich die Zahl der
Patienten, die sich seit 1998 mit ärztlicher Unterstützung das Leben
nahmen, laut aktuellem
Death with Dignity Act-Report
bis 2013 verfünffacht (16 auf 75), 2 von 1.000 Todesfällen gingen im
3,9 Millionen Einwohner zählenden Oregon bereits auf
ärztlich-assistierten Suizid zurück. Als Hauptgrund geben die
Betroffenen nicht, wie man meinen würde, unerträgliche Schmerzen an. Für
93 Prozent lag der Wunsch nach Suizid in der Angst vor einem „Verlust
von Autonomie“ und damit die Sorge, eine Last für andere zu werden; 89
Prozent sagten, sie seien „weniger in der Lage, an Aktivitäten
teilzuhaben, die dem Leben Freude geben“; 73 Prozent fürchteten einen
„Verlust an Würde“.
Auch die Haltung der Ärzte veränderte sich: Von zwei
Krebspatienten, die nur über die staatliche Armen-Krankenversicherung
Medicaid verfügten, wird berichtet, dass ihnen per amtlichem Schreiben
die zu teure Chemotherapie verweigert, gleichzeitig aber angeboten
wurde, einen assistierten Suizid als Alternative zu bezahlen. Beide
wollten aber leben und behandelt werden. Erst als der Fall von Randy
Stroup an die Öffentlichkeit kam, wurde ihm eine Chemotherapie
zugestanden (vgl.
Daily Telegraph,
online, 20. 2. 2009).
In rund 17 Prozent der Fälle stellten die Ärzte entgegen der
gesetzlichen Kriterien auch bei chronischen Erkrankungen ohne infauste
Prognose Bewilligungen für eine Beihilfe zur Selbsttötung aus.
„Entgegen aller Beteuerungen der Suizid-Befürworter
zeigt das Beispiel Orgeon klar: Eine Legalisierung der medizinisch
assistierten Selbsttötung untergräbt das Vertrauensverhältnis zwischen
Ärzten und Patienten. Das Gesetz schützt vielleicht die Ärzte, sicher
aber nicht die vulnerable Gruppe der Patienten und seelisch
Verzweifelten. Und es schafft neue Graubereiche statt Transparenz“,
betont Ethikerin Kummer.
Auch in der Schweiz ist die Zahl der Menschen, die
über Organisationen wie Exit oder Dignitas Beihilfe zum Suizid in
Anspruch nehmen, in den letzten 10 Jahren kontinuierlich angestiegen
(vgl.
Imabe 2014: Schweiz: Exit will assistierten Suizid auch lebensmüden Gesunden anbieten):
im Jahr 2012 waren es 508 Schweizer und 172 Ausländer. Auch in den
Niederlanden ist die Hilfe zur Selbsttötung erlaubt, sie wird meist von
Hausärzten ausgeführt. Die Zahl der assistieren Suizide und der Fälle
von „Tötung auf Verlangen“ ist laut dem aktuellen Jahresbericht der
Regionalen Prüfungskommissionen
Regionale Toetsingcommissies Euthanasie um 15 Prozent gegenüber 2012 gestiegen und betrug knapp 5.000 Fälle (vgl.
NiederlandeNet,
online, 30. 9. 2014). Das sind 13 Todesfälle pro Tag. Laut einer im Fachjournal
Lancet publizierten Studie (
doi:10.1016/S0140-6736(08)61345-8)
werden 23 Prozent aller Euthanasie-Todesfälle aber erst gar nicht
gemeldet – obwohl das niederländische Gesetz dies vorschreibt. In
Belgien starben 2012 1.816 Personen durch Beihilfe zur Selbsttötung oder
Euthanasie (vgl.
Imabe Juni 2014: Österreich: Bürgerinitiative gegen Euthanasie gestartet).
Großes Aufsehen erregte zuletzt der Fall eines 52-jährigen
Sexualstraftäters. Ihm wurde Beihilfe zum Suizid wegen „unerträglicher
psychischer Qualen“ gewährt.
Quelle:
Imabe-Newsletter Oktober 2014
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Labels: Ärzte, Assistierter Suizid, Deutschland, Selbstmord